„Harte Zeiten zwingen uns zum Handeln“

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TELI-Talk mit Vera Novais, Vorstandsmitglied von SciComPt – The Portuguese Network of Science and Technology Communication

Spontanes Treffen: Novais (links) und Peter Knoll trafen sich in Cacilhas zu einem ausführlichen Gespräch über Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation. Die weltberühmte Altstadt von Lissabon im Hintergrund ist vom Klimawandel bedroht - ein wichtiges Thema für beide Medienvertreter. Foto: Peter Knoll
Treffen in Cacilhas: Novais (links) und Peter Knoll trafen sich zu einem ausführlichen Gespräch über Wissenschaftsjournalismus und -kommunikation. Die weltberühmte Altstadt von Lissabon im Hintergrund ist vom Klimawandel bedroht — ein wichtiges Thema für beide Medienvertreter.

Peter Knoll (PK): Frau Novais, der Wissenschaftsjournalismus spielt in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Der Anteil der Wissenschaftssendungen auf den großen Fernsehkanälen liegt bei drei bis vier Prozent.(1) Wie schätzen Sie die Situation in Portugal ein?

Vera Novais (VN): Noch schlechter. Eine Studie der Regulierungsbehörde für Kommunikation (ERC) und des Gulbenkian Institute of Science mit dem Titel „Science on Screen“ (Wissenschaft auf dem Bildschirm) hat ergeben, dass der Großteil der Berichterstattung über Wissenschaft zur Hauptsendezeit im Fernsehen hauptsächlich aus wissenschaftlichen Aktivitäten besteht, die von regelmäßigen Veranstaltungen wie der Nobelpreiswoche eingerahmt werden. Im Jahr 2011 hatte das Thema „Wissenschaft und Technologie“ laut ERC-Regulierungsbericht nur einen geringen Stellenwert in der Nachrichtenberichterstattung und machte nur 0,8 % der Berichterstattung aus.(2) Es gibt keine auf Wissenschaft spezialisierten Journalisten im Fernsehen oder Radio. Nur sehr wenige kennen sich mit Umwelt, Technologie und Gesundheit aus, aber sie müssen auch über andere Themen berichten. SciComPt – das portugiesische Netzwerk für Wissenschafts- und Technologiekommunikation – besteht fast ausschließlich aus Kommunikatoren, die hauptberuflich für Universitäten und Forschungseinrichtungen berichten.

PK: Ich habe die Preise für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs verglichen, sie sind oft zwei- bis dreimal so teuer wie in Deutschland…

VN: … und das ist noch nicht einmal das Schlimmste an der Sache. Die Preise für Wohnungen und Häuser sind eine besondere Belastung: Eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Lissabon kann leicht 300.000 Euro kosten. Die Mieten sind deutlich gestiegen. Der Mindestlohn in Portugal beträgt 870 Euro, der Durchschnittslohn rund 1.600 Euro (jeweils pro Monat vor Steuern). Gleichzeitig ist Lissabon inzwischen eine der teuersten Städte Europas. Die Mieten in den angesagten Vierteln liegen über dem Niveau von z. B. Berlin. Eine einfache 43-Quadratmeter-Wohnung in der Lissabonner Altstadt kann mehr als 1.500 Euro kosten.(3) Das ist der Grund, warum sich kaum ein „Normalverdiener“ die exorbitant gestiegenen Mietpreise leisten kann.

Lissabon, Obdachlosigkeit
Explodierende Preise: Der überteuerte Wohnungsmarkt im Großraum Lissabon führt zu immer mehr Obdachlosigkeit. Foto: Peter Knoll

PK: „Vor Corona“ gab es bei der TELI einen monatlichen Jour-fixe zu einem wissenschaftlich-technischen Thema, etwa zu den Gefahren und Chancen der KI. Unsere Erfahrungen mit Online-Veranstaltungen waren dagegen eher gemischt. Was hat sich für SciComPt bewährt?

VN: Während der Pandemie mussten wir auf Online umstellen. Wir haben aber auch festgestellt, dass keine virtuelle Veranstaltung den direkten persönlichen Kontakt ersetzen kann. Unser jährliches Treffen in Portugal, bei dem wir mehrtägige Präsentationen mit hochkarätigen Referenten anbieten und Networking ermöglichen, hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Dieser Austausch ist von unschätzbarem Wert. Wir veranstalten dieses Treffen mit Absicht an verschiedenen Orten, wobei wir den Großraum Lissabon bewusst meiden.

PK: In Deutschland hat sich die Situation für Medienschaffende drastisch verschlechtert. In den 1990er Jahren konnte ich meine Familie und mich oft noch einen Monat lang von einem einzigen veröffentlichten Beitrag ernähren. Selbst Fachzeitschriften mit geringer Auflage zahlten oft 500 D-Mark oder umgerechnet rund 250 Euro pro Seite. Das ist heute nicht mehr der Fall. Gibt es in Portugal eine ähnliche Entwicklung?

VN: Generell ist es kaum noch möglich, als freier Journalist ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, und selbst Festangestellte müssen immer mehr arbeiten – ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Ich habe von 2014 bis 2024 für ein führendes nationales Medienunternehmen gearbeitet: An einem normalen Tag war es üblich, dass wir fünf, sechs oder mehr kleine bis mittelgroße Artikel abliefern mussten, zumeist sogenannte Eilmeldungen oder Nachrichten, die in den sozialen Medien als Trending News bezeichnet wurden.

Gründliche Recherchen zu komplexen Themen, vor allem in der Wissenschaft, sind schwierig und bedeuten, dass man härter und schneller arbeiten und Überstunden machen muss. Ich habe dieses Nachrichtenmedium verlassen, weil ich eine Pause von diesem intensiven Nachrichtenzyklus brauchte. Ich bevorzuge den langsamen Journalismus und arbeite jetzt als freier Mitarbeiterin für ein lokales Nachrichtenmedium.

PK: Die Situation für seriösen Journalismus in Deutschland ist im staatlichen Rundfunk und Fernsehen viel besser, dort werden mit Abstand die höchsten Gehälter gezahlt; die deutsche Medienlandschaft ist nur vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zu verstehen. Die im Grundgesetz garantierte „Rundfunkfreiheit“ sichert den staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten eine sehr starke Stellung; sie müssen unabhängig von staatlichem, parteipolitischem und wirtschaftlichem Einfluss sein und werden weitgehend durch Gebühren finanziert. Bis heute sind die „öffentlich-rechtlichen Sender“ stärker als die privaten Sender. Außerdem gibt es in Deutschland aufgrund der Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen „Schriftleitergesetz“ keine Zugangsbeschränkungen zum Journalismus.

VN: Es ist interessant, wie unterschiedlich unsere Länder auf die Erfahrung von Diktaturen reagiert haben; auch Portugal war bis 1974 eine Diktatur. Aber anders als in Deutschland gibt es eine strikte Trennung zwischen Journalismus und anderen Bereichen. Der Grund dafür ist die Erfahrung der Diktatur. Hier ist es gesetzlich verankert, dass ein Journalist zum Beispiel keine PR-Aufträge annehmen oder als politischer Berater tätig sein darf.(4)

Die privaten Medien spielen in Portugal eine größere Rolle als in Deutschland, wenn man bedenkt, was Sie sagen, und das liegt wohl an der fehlenden nachhaltigen Finanzierung.

Chega-Wahlplakat: 50 Jahre versagt
Schuld sind immer die anderen: Das Wahlplakat der Chega im Mai 2025 wirft den „alten Parteien“ vor, 50 Jahre lang versagt zu haben. Foto: Peter Knoll

PK: Vor einigen Tagen fanden in Portugal die dritten nationalen Wahlen seit 2023 statt. Die rechtspopulistische Chega („Genug ist genug!“) ist nun mit 60 Sitzen zweitstärkste Partei; in Deutschland sind wir seit diesem Jahr mit der AfD in einer ähnlichen Situation. Im Wahlkampf war die AfD nicht die einzige Partei, die mit der Behauptung, die große Zahl von Flüchtlingen stelle ein großes „Sicherheitsrisiko“ dar, die Öffentlichkeit massiv aufgewiegelt hat. Was kaum je erwähnt wurde: Der sicherste Sicherheitsmaßstab ist die „Mordrate“, also die Zahl der ermordeten Menschen im Verhältnis zur Bevölkerung — und die ist in Ländern, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, besonders niedrig; in Deutschland hat sich die Mordrate in den letzten 20 Jahren halbiert und ist deutlich niedriger als noch vor zehn Jahren. Welche Rolle hat der Journalismus beim Aufstieg der Rechtspopulisten in Portugal gespielt, und was sind die Folgen?

VN: Ich finde diese Entwicklung alarmierend. Es ist auffällig, dass Chega gerade in Regionen, die traditionell oft die Kommunisten gewählt haben, besonders gut abgeschnitten hat. Die Chega verdankt ihren Aufstieg auch der Tatsache, dass die meisten Medien, vor allem die Fernsehsender, ihre wütenden Botschaften wie Papageien veröffentlicht haben – anstatt die Sendezeit zu reduzieren oder ihre dumpfen Parolen kritisch zu entlarven. Die Hetze gegen Flüchtlinge und die aktuelle Migrationswelle ist völlig unbegründet und weitgehend unwidersprochen.

Der populäre Mythos, dass die Chega die Partei ist, die für Recht und Ordnung steht und wirklich etwas gegen die Korruption in Portugal unternimmt, ist völlig absurd. In Wirklichkeit gibt es Personen in ihrer Fraktion oder in der Partei, gegen die wegen einiger Straftaten ermittelt wird, darunter auch gegen eine Person wegen Kinderprostitution. Ein anderer Abgeordneter der Chega wurde dabei erwischt, wie er am Flughafen Koffer gestohlen und deren Inhalt verkauft hat… Ich glaube, wir Medienschaffenden haben die Pflicht, uns viel mehr für die Demokratie einzusetzen, als wir es bisher getan haben!

PK: In der TELI gibt es eine ähnliche Sichtweise. Und wir sind uns sehr bewusst, dass das viel Mut erfordert: Gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende haben in den letzten Jahren stark zugenommen, vor allem durch Rechtsextremisten. Cybermobbing gegen kritische Berichterstattung ist an der Tagesordnung. Gibt es ähnliche Beobachtungen in Portugal?

VN: Ja, leider. Die Zeiten sind härter geworden, auch hier. Politiker mögen es nicht, hinterfragt zu werden. Sie beschuldigen Journalisten, in fremden Diensten zu stehen, um sie zu verunglimpfen – von politisch links bis rechts, was an sich schon zeigen sollte, dass wir nicht dazu da sind, es einer Seite recht zu machen. Selbst Parteien, die vorgeben, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, versuchen dann, die Arbeit von Journalisten einzuschränken. Für Wissenschaftsjournalisten ist es nicht einfacher; Klima- und Covid-19-Leugner sowie Befürworter von Pseudowissenschaften und alternativen Therapien mögen in der Regel nicht, was ich schreibe, und greifen mich und meine journalistische Sorgfalt persönlich an.

 

Über Vera Novais

Vera Novais ist seit über zehn Jahren als Wissenschaftsjournalistin tätig. Sie lebt jetzt in Almada und arbeitet für das lokale Nachrichtenmedium Almadense, wo sie versucht, die Wissenschaft in die lokalen Nachrichten zu bringen. Vera ist seit 2017 Vorstandsmitglied bei SciComPt und seit 2024 Community Managerin bei ABSW. Sie arbeitet häufig mit dem WFSJ und anderen Organisationen zusammen, um den Wissenschaftsjournalismus zu verbessern und anzuerkennen, und hat die Entwicklung der „Guiding Principles for Journalists Covering Science“ des WFSJ koordiniert. Vera ist bestrebt, die Medien- und Wissenschaftskompetenz zu erhöhen, kritisches Denken zu fördern und Fehlinformationen zu bekämpfen.

 

Quellen:

(1) Holger Wormer, Sascha Karberg: Gerade jetzt ist Wissenschaftsjournalismus unerlässlich, https://www.dfjv.de/publikationen/fachjournalist/gerade-jetzt-ist-wissenschaftsjournalismus-unerlaesslich

(2) António Granado, José Vitor Malheiros: Cultura Científica em Portugal, https://ffms.pt/pt-pt/estudos/estudos/cultura-cientifica-em-portugal

(3) T0-Wohnung zu vermieten in avenida Dom Carlos, www.idealista.pt/de/imovel/34222634/

(4) Assembleia da República: Aprova o Estatuto do Jornalista, https://diariodarepublica.pt/dr/detalhe/lei/1-1999-196219

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