Report: Kraft- und Rohstoffe aus Licht und Luft

Die künstliche Photosynthese ist wissenschaftlich begründet und technisch Umsetzbar. Sie hat das Potenzial, Volkswirtschaften umweltfreundlich unabhängiger von Öl- und Gas-Importen zu machen.

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acatech Präsidiumsmitglied Hermann Requardt (v.l.), der Chemiker Bernhard Rieger von der TU München und Wissenschaftsjournalist Arno Kral, der Vorsitzende der Journalistenvereinigung TELI, während der acatech am Dienstag-Veranstaltung zur künstlichen Fotosynthese (Foto: acatech)
acatech Präsidiumsmitglied Hermann Requardt (v.l.), der Chemiker Bernhard Rieger von der TU München und Wissenschaftsjournalist Arno Kral, der Vorsitzende der Journalistenvereinigung TELI, während der acatech am Dienstag-Veranstaltung zur künstlichen Fotosynthese (Foto: acatech)

Am 26.07.2016 hatten die Technisch-literarische Journalistenvereinigung TELI und die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften im Rahmen der Veranstaltungsreihen „acatech am Dienstag“ und TELI-Jour-fixe zu einer Diskussion des Themas „künstliche Photosynthese“ geladen. Ziel der Veranstaltung mit dem Titel „Unabhängig vom Import – Kraft- und Rohstoffe aus Licht und Luft“ war es aufzuzeigen, ob die wissenschaftlichen Grundlagen ausreichen, um durch die technische Umsetzung schon bald Kraft- und Rohstoffe in nennenswertem Umfang aus Licht und Luft erzeugen zu können – zum einen, um die Volkswirtschaft von Öl-, Kohle- und Gas-Importen unabhängiger machen zu können, zum anderen, um durch Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft die Klimaziele schneller erreichen zu können.

Als Referent hatten die Veranstalter einen der bedeutendsten deutschen Protagonisten für die künstliche Photosynthese, Prof. Bernhard Rieger von der TU München, gewinnen können. An die 30 Personen, darunter viele Technik- und Wissenschafts-Journalisten, Buchautoren und acatech-Mitglieder waren der Einladung von TELI und acatech gefolgt.

In seiner Begrüßung begründete Prof. Dr. Hermann Requardt, Mitglied des acatech-Präsidiums, das Engagement seiner Organisation für die künstliche Photosynthese. Es habe bereits zu zwei mittlerweile abgeschlossenen Projekten geführt und sei in einen laufenden, von Wissenschafts-Kommunikator Marc-Denis Weitze betreuten Blog gemündet. Er soll künftig die Konzeption öffentlicher Veranstaltungen wie acatec am Dienstag und Kooperationen wie mit der TELI umfassen.

Der Moderator der Veranstaltung, Arno Kral, Physiker, Technikjournalist  und Vorsitzender der TELI, verwies in seiner Einleitung auf die Vision des Science-Fiction-Autors Neal Stephenson. Der hatte im seinem 1995 in den USA und 1996 in Deutschland bei Goldmann erschienenen Science-Fiction-Roman „Diamond Age – Die  Grenzwelt“ die Utopie entworfen, Nanotechnologie flächendeckend für die Versorgung der Bevölkerung einzusetzen: Materie-Compiler, eine Art auf molekularer Ebene arbeitende 3D-Drucker, synthetisieren Güter des täglichen Bedarfs, etwa Kleidung und Nahrung – und desintegrieren sie, ganz im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, nach Gebrauch wieder sortenrein. Versorgt werden diese Materie-Compiler aus Feedern, die in Ergänzung zu heute üblichen Strom- und Wasserleitungen für die Produktion benötigte Substanzen in die Haushalte führen.

„Wirtschaftliche Bedeutung haben nur noch Eigentumsrechte an den Bauplänen (Informationen für die Kompilierung der Güter), sowie die Infrastruktur, bestehend aus so genannten Sources, Fabriken für atomare Bausteine und gleichzeitig Kontrollinstanzen für die Materie-Compiler, und Feeder-Leitungen, um die Compiler mit Material zu versorgen“, schreibt Wikipedia über Stephensons Roman.

Den Titel Diamond Age, also Diamantenzeitalter, hatte der Autor gewählt, um klar zu stellen, dass Kohlenstoff, etwa in Form von CO2, so reichlich zur Verfügung steht, um daraus nahezu alles, wofür heute etwa Glas zum Einsatz kommt, künftig aus Diamant gefertigt wird. Doch mit Kohlenstoff, insbesondere solchem, der das Klima schädigt, lässt sich weit mehr anfangen, als ihn zu Diamantglas zu verarbeiten.

Mit der künstlichen Photosynthese schicken sich Wissenschaft und Technik nämlich an, zumindest das CO2 aus Industrieabgasen in ein Fließgleichgewicht zu überführen, den Großteil der Emissionen aus der Kohleverbrennung also wieder zu verwerten und damit die Klimaziele produktiver zu erreichen, als etwa mit der Speicherung von CO2 unter Tage. Darüber hinaus weist die künstliche Photosynthese einen Weg auf, den enormen Bedarf der Industrie an Wasserstoff durch photokatalytische Prozesse großtechnisch umweltfreundlicher als bisher zu erzeugen.

Einen wesentlichen Beitrag leistet dazu die TU München, immer wieder angetrieben von Rieger. Er hat seine Expertise in die Arbeitsgruppe „Künstliche Photosynthese“ eingebracht, zu der die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und – federführend – acatech beigetragen haben.

Für 20 Euro mehr…

In einem Impulsvortrag zeigte Rieger zunächst einige der Gebiete auf, in denen die chemische Industrie heute schon beträchtliche Umsätze realisiert. Dazu zählen die Synthese von jährlich an die 100 Millionen Tonnen Harnstoff nach dem Haber-Bosch-Verfahren, zentraler Rohstoff für die Düngemittel- und die Kosmetik-Industrie. Der anhaltende Mehrverbrauch von Kunststoffen unter Kohlenstoff-Beteiligung mit Zuwachsraten von 4 bis 8,5 Prozent im Jahr 2015 veranlasste Professor Rieger, die Frage aufzuwerfen, ob CO2 als die neue Kohlenstoffquelle betrachtet werden könne.

Zwar trage Deutschland mit 900 Millionen Tonnen nur rund drei Prozent Gases in die Atmosphäre ein, könne jedoch mit der technischen Verwertung dieses klimaschädlichen Gases dazu beitragen, den Anstieg der CO2-Konzentration in der Luft auf zuletzt im Jahr 2015 gut 400 ppm (Parts per Million) wieder zu senken.

Zu den Rohstoff-Kandidaten, die sich aus Kohlendioxid, also ohne den Einsatz von Rohöl, synthetisieren ließen, zählten zum ersten Mal auch Kunststoffe wie sie in Verbrauchsartikeln Verwendung fänden – Gehäuse für Haushalts-Produkte, Agrarfolien, Taschen und Beschichtungsmaterialien für Papier. Vorteil der synthetischen Erzeugung solcher Kunststoffe sei das Fehlen von Nebenprodukten.

Als Beispiel für die gelungene Umsetzung der Kunststoff-Synthese aus Kohlendioxid präsentierte Rieger den Deckel eines Siemens-Haushaltgerätes. Beteiligt waren die Firmen Siemens und die BASF sowie das BMWi. Der TUM-Forscher warf die Frage auf, wie denn den Verbrauchern  zu vermitteln sei, 20 Euro mehr für einen Haushalts-Staubsauger zu bezahlen, dessen Kunststoffgehäuse nicht  mehr aus der Verarbeitung der Importware Erdöl, sondern durch künstliche Photosynthese des lokal vorhandenen Kohlendioxids produziert werde.

Ein starker Treiber der künstlichen Photosynthese sei darüber hinaus die wachsende Nachfrage nach Kohlefasern (erzeugt aus Polyacrylnitryl) seitens der Automobil-Industrie für den Leichtbau von Elektromobilen wie den BMW i3; oder von so genannten Superabsorbern (aus Polyacrylsäure – ein Gramm davon bindet 1000 Gramm Wasser) für Hygieneprodukte (saugfähige Windeln); oder für die künstliche Bewässerung.

In der Diskussion stehe nach wie vor der Einsatz von Methanol als Treibstoff, hergestellt ebenfalls durch Reduktion von CO2.

Power-to-Gas

Längst schon ist Wasserstoff als Energieträger und als Reaktionsprodukt unverzichtbar. Doch woher stammt dieses Gas heute? Aus dem industriell eingesetzten Steam-Reforming – das aber setzt Unmengen CO2 frei! Daher suche die Welt seit 10 bis 15 Jahren nach photokatalytischen Prozessen für die Bereitstellung des von der chemischen Industrie so dringend benötigten Wasserstoffes.

Da es sich beim CO2-Molekül um eine sehr stabile chemische Verbindung handele, sei zwar viel Energie erforderlich, es wieder aufzuspalten. Die aber stünde in Form von Überschusselektrizität aus der Produktion erneuerbarer Energien in großem Umfang preiswert zur Verfügung. Die Power-to-Gas-Technik, die im Wesentlichen Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet (Elektrolyse), liefert den Rohstoff Wasserstoff, um aus Kohlendioxid mit hoher Effizienz Methan zu erzeugen, ein Energieträger, der den Hauptbestandteil des Import-Artikels Erdgas ausmacht.

Dieser Methanisierung genannte Prozess setzt „wahnsinnig viel Energie“ in Form von Wärme frei, was in der Vergangenheit für die eingesetzten Katalysatoren sehr problematisch gewesen sein. Durch ein effizientes Kühlsystem sei diese Klippe aber inzwischen umschifft. Eine Versuchsanlage von MAN in der Deggendorfer Werft beweise, dass die Sabtier-Reaktion mit Katalysatoren von Clariant (ehemals Süd-Chemie) Methan kontinuierlich mit einem Wirkungsgrad von 98 Prozent erzeugen könne. Zwischenresultat: Der Katalysator von Clariant funktioniert, der MAN-Reaktor funktioniert.

Im Gegensatz zu Elektrizität lässt sich (synthetisches) Erdgas leicht im vorhandenen Erdgasleitungsnetz über große Strecken transportieren und speichern, um dann für die Erzeugung von Strom, Wärme und Chemikalien sowie für die Mobilität bereit zu stehen. Doch woher kommt das CO2 für die industrielle Nachfrage? Die Antwort liefert der Project Cluster iC4 – Integrated Carbon Capture, Conversion & Cycling. Zu den größten Verursachern von CO2-Einträgen in die Atmosphäre gehört die Baustoff-Industrie. Doch unter Umgebungsbedingungen lassen sich mit Licht als Energiequelle CO2 und Wasser zu CH3OH, also Methanol umsetzen – und daraus könnten Brennstoffzellen Elektro- oder Motoren Bewegungsenergie machen.

Besser als die Natur

Pflanzen arbeiten bei der natürlichen Photosynthese aber nicht mit Strom, sondern mit Licht. Dabei setzen sie mit Hilfe des Chlorophylls in ihren Chloroplasten, die ihnen ihre grüne Farbe verleihen, Wasser und Kohlendioxid in Zucker (Glukose) und Sauerstoff um – leider mit einem recht geringen Wirkungsgrad: Weniger als ein Prozent der Energie aus dem Sonnenlicht wird dabei in Biomasse gespeichert. Mit modernen Katalysatoren ließe sich dieser Wirkungsgrad jedoch enorm steigern, so Rieger. Der geringe Wirkungsgrad der natürlichen Photosynthese sei darauf zurück zu führen, dass die komplexen Naturmoleküle nur 20 Minuten leben würden. Dafür funktionierten sie bei Kälte ebenso wie bei Hitze, müssten von der Pflanze jedoch immer wieder erneuert werden. Technische Systeme würden hingegen heute schon 80 Prozent der Lichtquanten nutzen können.

Das bereits seit 1925 bekannte Fischer-Tropsch-Verfahren, die so genannte Kohleverflüssigung, setzt Synthesegas, ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, ein breites Spektrum gasförmiger und flüssiger Kohlenwasserstoffe, darunter Benzin. Dieses Verfahren komme, so Rieger, in den USA und in Südamerika massiv zum Einsatz. Durch hoch entwickelte Katalysatoren auf Basis der leider seltenen Elemente Rhenium und Ruthenium sei die Herstellung von Kohlenwasserstoffen jedoch auch durch künstliche Photosynthese technisch in Reichweite.

Die Industrie ziert sich – gesellschaftlicher Konsens unumgänglich

Die anschließende Diskussion im Rahmen des acatech-TELI-Jourfixes offenbarte, dass Euphorie nicht angebracht ist. Denn obwohl die wissenschaftlichen Voraussetzungen geschaffen und die technische Umsetzbarkeit  bewiesen seien, ziere sich die gewinnorientierte Industrie dennoch, massiver in die künstliche Photosynthese einzusteigen. Nur gesamtgesellschaftliche Anstrengungen könnten eine Änderung des bequemen, import-orientierten Status-quo aufbrechen und zukunftsweisende Technologien in die Welt setzen.

Wie bei der Etablierung der erneuerbaren Energien seien Anreizmodelle notwendig, um die künstliche Photosynthese voran zu treiben. Technisch sei die Umsetzung bald möglich, auch wenn die Utopie eines Neal Stephenson noch sehr weit von ihrer Realisierung entfernt sei. Die Einführung der zukunftsweisenden Technik der künstlichen Photosynthese erfordere die Bestellung des politischen Umfeldes und einen gesellschaftlicher Konsens sowie Investitionen der öffentlichen Hand. Nur so sei die Integration der künstlichen Photosynthese in die bestehende Industrielandschaft machbar.

„Neue Energien, respektive Treib- und Rohstoffe, haben einen Preis, den wir zahlen müssen, um unseren Wohlstand zu erhalten“, konstatiert Professor Rieger. Es gilt, Kommunikationsprobleme zu lösen – beispielsweise zwischen der Industrie als Abnehmer der synthetisch erzeugten Treib- und Rohstoffe und der Forschung.

So ist der Technik- und Wissenschafts-Journalismus aufgefordert, die Vision der künstlichen Photosynthese in die Köpfe der Bürger zu tragen, weil die aus Wiederwahl ausgerichtete Politik demokratischer Staaten mit weitreichenden Entscheidungen sonst zu zurückhaltend ist.

Fazit

Die wissenschaftlichen Grundlagen reichen jedenfalls aus, durch die technische Umsetzung Kraft- und Rohstoffe in nennenswertem Umfang aus Licht und Luft erzeugen zu können um die beiden eingangs genannten Ziele in Sichtweite zu rücken: Zum einen, die Volkswirtschaft von Öl-, Kohle- und Gas-Importen unabhängiger zu machen, zum anderen, um die Klimaziele schneller erreichen zu können.

Doch Rieger führt noch ein drittes Argument ins Feld: „Die Technologie-Führerschaft, die wir in diesem Bereich erlangt haben, sollten wir nicht leichtfertig aus der Hand geben.“ An die Stelle der zögerlichen Industrie könnte – wie bei den erneuerbaren Energien – erneut die Idee dezentraler Systeme treten: Biogas-Anlagen erzeugen zu etwa gleichen Teilen CO2 und Methan. Dann fände im ländlichen Raum die natürliche Photosynthese zu ihrem künstlichen Gegenstück – dort, wo schon die Vision des Umstiegs auf erneuerbaren Energien ihre dezentrale Realisierung gefunden hat.

Keine Einträge vom 18. März 2025 bis zum 18. Juni 2025.

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