Frischer Schub für die in Flaute dümpelnde Energiewende. acatech trommelt im Konzert mit anderen namhaften Wissenschaftseinrichtungen für die künstliche Photosynthese. Sehr bürgerfreundlich, mit „frühzeitiger Einbindung der Öffentlichkeit“ in Zukunftstechnologien — leider in bürgerferner Sprache.

Die deutsche Akademie für Technikwissenschaften acatech ist an die Öffentlichkeit mit zwei druckfrischen Publikationen getreten. Die eine, in Kooperation mit Leopoldina und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, wirbt für den Einsatz von künstlicher Photosynthese zur nachhaltigen und klimafreundlichen Energiegewinnung.
Komplexes in Narrative übersetzen
Dahinter steckt viel mehr als die technische Nachstellung eines Pflanzenblattes. Nämlich die Gewinnung des Treibstoffes Ethanol aus Algen, ebenso wie der großflächige Einsatz von Nanotechnologie zur Erzeugung von Methangas aus CO2 in der Luft oder Emissionen von Zementwerken. Auch die Herstellung neuartiger Solarfolien, mit denen sich die Gebäudefassaden in unseren Städten in Kraftwerke verwandeln lassen.
Nur, die Darstellung dieser hochkomplexen Verfahren gerät in dieser wichtigen Schrift viel zu umständlich. Die Öffentlichkeit steigt bei dieser Lektüre aus, gleichwohl in den letzten Jahren acatech mit beträchtlichem Aufwand, fast schon Liebe übersetzerische Transformationsarbeit geleistet hat. Comics und Erzählungen entstanden, die mit zeichnerischen und narrativen Mitteln bei populären Marktplatz-Events die Brücke zum Laienpublikum schlugen.
„Akzeptabilität“ statt Akzeptanz?
Das war Strategie, ist es doch die erklärte acatech-Absicht, bei neuen Technologien die Bürger ins Boot zu holen, besonders mit ihren Befürchtungen und ihrer Kritik, im acatech O-Ton: „Im Sinne einer frühzeitigen Einbindung der Öffentlichkeit in Technikentwicklung bedarf es eines gesellschaftlichen Dialogs, in dem Positionen und Bewertungen der einzelnen Stakeholder, also auch außerhalb der Wissenschaft und Wirtschaft, aufgenommen werden, um frühzeitige kritische Fragen und Bedingungen der Akzetabilität auszuloten“, heißt es in „Künstliche Photosynthese. Forschungsstand, wissenschaftlich-technische Herausforderungen und Perspektiven“, Mai 2018 Stellungnahme.

Das ist vorbildlich, sind doch bei acatech und den Akademien die Forderungen der modernen Partizipations- und Demokratieforschung angekommen, nur: Warum das angelsächselnde „Akzeptabilität“, wo „Akzeptanz“ viel klarer, kürzer, direkter ist? Nur ein Beispiel für viel geblähtes und umständliches Wissenschaftsdeutsch, das sich im Bildungsbürgerdeutsch „linguistisch desavouiert“.
German Angst
Fast zeitgleich mit der Stellungnahme „Künstliche Photosynthese“ erschien der „Technik Radar 2018“, von acatech zusammen mit der renommierten Körberstiftung herausgegeben. Im Gegensatz zur Photosynthese, auch themenbedingt, viel leichter verstehbar, aber inhaltlich wenig erhellend, fast eine Binse.
Nämlich, dass wir Deutsche eher technikfeindlich eingestellt sind, wissen wir. Was im Ausland mit „German Angst“ konnotiert wird und sich als quasi unser „Trade Mark“ eingebürgert hat. Einige Wissenschaftler sehen hierin die Nachwehen der deutschen Romantik, andere wollen hierin sogar die Folgen des nicht aufgearbeiteten Dreißigjährigen Krieges entdecken (der vor 400 Jahren ausbrach).
„Technologie hilflos ausgeliefert“
Interessante Thesen, aber dass nun, wie das Fazit des Technik-Radars formuliert, das Gros der Deutschen „die technologische Entwicklung als unabwendbares Schicksal begreift, dem man sich hilflos ausgeliefert fühlt“, erscheint als ziemlich krasse Aussage. Auch die vorgeschlagene Lösung erscheint fragwürdig: Akzeptanz, etwa die von Pflegerobotern, hänge davon ab, ob es gelinge, „technischen Entwicklungen eine gesellschaftliche erwünschte Richtung zu geben“; dafür müsse die Politik in die Pflicht genommen werden.
Das stimmt, stimmt eigentlich immer, aber wieviel dürfen wir denn von der Politik erwarten, die ihrerseits in einer eklatanten Vertrauens- und Machenskrise steckt? Viel wirkungsvoller wäre doch gewesen, auch dieses Thema mit der von acatech selbst designten Methode einzuschienen, der „frühzeitigen Einbindung der Öffentlichkeit“ durch Science Cafés, Bar Camps, narrative Stilmittel, die ganze Palette der Kunst und unausgeschöpfter Moderationstechniken. Warum so weit ins amorphe Feld der Politik abschweifen, wenn bereits erprobte Strategien so nahe lägen?
Leuchtturm- und Flaggschiff-Signal
Egal, viele Wissenschaftsakteure wie auch Journalistenvereinigungen, darunter die TELI haben bereits für die intensive Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Dialog über Chancen und Risiken von Forschung, Wissenschaft, neuer Technologien plädiert, Methoden und Mittel dafür bereitgestellt. Allen voran die EU, die mit ihrem finanziell großzügig dotierten „Horizon 2020“ Programm das Beteiligungs-Kriterium fördert und damit Europas Wissenschaft global konkurrenzfähiger machen will. Eine unlängst veröffentlichte PROSO-Studie, „Promoting Societal Engagement in Research and Innovation“, an der Universitäten aus fünf EU-Ländern mitwirkten, stellt für den Dialog einen kompletten Instrumentenkoffer parat.

Wenn dies jetzt die deutschen Akademien in der Photosynthese-Schrift und einem hochkarätigen Symposium rund um das Thema in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (s. Fotos) explizit auf die Agenda setzen, ist die gründliche Beteiligung der Öffentlichkeit nun auch hochoffiziell zum Leuchtturm- und Flaggschiffsignal geworden. Was gleichwohl noch offen bleibt, ist, wie weit dieser Dialog reicht und was dabei die Rechte der Bürger sind.
PHOTOSYNTHESE-SCHRIFT DER AKADEMIEN:
http://www.acatech.de/de/aktuelles-presse/presseinformationen-news/news-detail/artikel/vorbild-natur-wissenschaftsakademien-legen-stellungnahme-zur-kuenstlichen-photosynthese-vor/print.html?type=98&cHash=b8bd1a32b1cebe64128c086f8d2fdf7
Künstliche Photosynthese, Infos & Hintergründe http://www.acatech.de/fotosynthese
TECHNIK-RADAR 2018:
Beim Roll-out der „Künstlichen Photosynthese“-Stellungnahme in der Bundeshauptstadt war TELI Mitglied Manfred Ronzheimer zugegen. Er berichtete in der taz ausführlich darüber: http://www.taz.de/!5508069/
Chapeau! Gründliche Analyse. Kernkritik, die für viele wissenschaftliche und technische Kommunikationsversuche gilt.
…zur Kritik „…viel zu umständlich. Die Öffentlichkeit steigt bei dieser Lektüre aus…“ sagt Einstein: „Man muß die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“
Das fasst das Kommunikationsdilemma zusammen, in dem wir (auch) bei der Künstlichen Photosynthese sind: So faszinierend und „einfach“ die Vision ist, so komplex sind die molekulare Maschinerie und die vielfältigen technischen Ansätze. Die haben wir in dieser Akademienstellungnahme – nach einem Vorgängerprojekt http://www.acatech.de/fotosynthese, das sich ausfürhrlich um Kommunikation gedreht hat – endlich mal kompakt zusammengetragen. Wolfgang, du musst nicht jedes Molekül darin verstehen, aber um zu sehen worin nun genau die Herausforderungen liegen, müssen wir ins Detail gehen.
Ähnlich auch bei „Akzeptabilität“ vs. „Akzeptanz“: Kann man sich lustig machen über „Bildungsbürgerdeutsch“, aber auch hier liegt die Sache komplizierter: „Akzeptanz bezeichnet die empirisch gemessene Bereitschaft der Menschen, eine Technik in ihrem Umfeld zu tolerieren, während mit dem Begriff der Akzeptabilität ein an Werten orientiertes Urteil über die Akzeptanzwürdigkeit einer Technologie unter Abwägung der Vor- und Nachteile gemeint ist. “ (S. 7 auf https://www.acatech.de/fileadmin/user_upload/Baumstruktur_nach_Website/Acatech/root/de/Publikationen/Stellungnahmen/acatech_bezieht_Position_Nr9_Akzeptanz-von-Technik_WEB.pdf). Ja, über den Satz kann man auch lästern, aber es ist schon ein Unterschied, ob wir über eine Einstellung oder die Bedingungen von Einstellungen sprechen.
Der nächste besser verdauliche „Kommunikationsversuch“ zur Künstlichen Photosynthese kommt bestimmt: z.B. im Rahmen unserer acatech-Reihe „acatech am Dienstag“ https://www.acatech.de/de/aktuelles-presse/veranstaltungen/veranstaltung/kalender/event/2018/10/23/acatech-am-dienstag-energiewende-und-abkehr-von-fossilen-rohstoffen-welchen-beitrag-kann-die-kuens/tx_cal_phpicalendar/view-list%7Cpage_id-2817.html
… danke für die bedenkenswerten Stellungnahme Marc:
Einstein im Diskurs mit Wolf Schneider, Sprach-Provokateur und Advokat der einfachen deutschen Sprache–wie erhellend wäre das gewesen!
Aber das ist nur sprachliches Make-up, inhaltlich geht’s um „the next big thing“. Nachdem sich die Autoindustrie derzeit selbst zerlegt, liegen auf der künstlichen Photosynthese große Hoffnungen.