„Glauben statt wissen wollen: Bestürzend!“

Das große TELI-Interview zum Jahreswechsel. Franz Miller (FM) stand fast 30 Jahre lang in Diensten der Fraunhofer-Gesellschaft in München. Sie gehört zu den großen deutschen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen. Der Neu-Ulmer trat dort 1988 als Redakteur in die Presseabteilung ein, wurde 1996 deren Leiter und führte seit 2002 die Fraunhofer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. 1992 wurde er Mitglied der TELI. Mit seinem 65. Geburtstag ging Miller jetzt in den Ruhestand. Ein ungewöhnlicher Journalist, kreativ, kritisch und in keine Schublade passend, der es eher mit Frank Sinatra hält: I do it my way.

Zwei ziemlich geniale Münchner Journalisten: Sigi Sommer und Franz Miller (re.) (c) Goede
Zwei ziemlich geniale Münchner Journalisten: Sigi Sommer und Franz Miller (re.) (c) Goede

Lieber Herr Miller, Sie haben in Ihrer Lebensarbeitszeit den Umbruch in den Medien durchlebt, von Schreibmaschine und Gutenberg-Drucktechnik bis zur Turbo-Digitalisierung. War es früher wirklich besser?

FM: Nicht besser, aber nicht so stressig, wir hatten viel mehr Zeit für Qualitätsarbeit. Heute sitzen doch die Controller in allen Betrieben, einschließlich Medien und Kommunikationsabteilungen. Sie verlangen Wachstum und jedes Jahr ein Plus von zehn Prozent. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist der Druck enorm angewachsen.

Wie sind Sie als oberster Kommunikator von Fraunhofer damit umgegangen?

FM: Ich habe diese Forderungen immer abgewehrt und argumentiert: Um kreativ zu sein, brauchen wir Zeit und Freiräume. Wir sind keine Maschinen! Das haben sie verstanden. Auch wenn oft nicht auf Anhieb. Man darf nicht zu schnell aufgeben, muss notfalls mehrere Anläufe machen, und vor allem auf den richtigen Zeitpunkt warten. Dass ich als Pressesprecher direkt im Kreise des Vorstands saß, hat beim Durchsetzen unserer Kreativitätszone natürlich geholfen.

Mit Ihrer Arbeit haben Sie ja auch einige Preise abgeräumt, welche?

FM: Im Jahre 2008 wurde unsere Jahrestagung prämiert, weil sie durch ihre geglückte Komposition aus Musik, Show und Inhalten überzeugte und damit neue Maßstäbe für Events in Wissenschaft und Technologie setzte. 2011 wurde das Fraunhofer Magazin „weiter.vorn“ von der Diesel Stiftung ausgezeichnet. Dann erhielt ein Imagefilm von uns einen Preis, ich selbst wurde zweimal zum Forschungssprecher des Jahres gekürt. Diese Erfolge halfen uns ganz gehörig dabei, unsere Freiheit gegenüber den Controllern abzusichern. Gleichzeitig haben wir das alte Kürzel FhG durch den Markennamen Fraunhofer ersetzt und ein neues Logo und Corporate Design durchgesetzt. Unter dieser international bekannten Dachmarke kann nun die ganze Familie von mittlerweile 67 Fraunhofer-Instituten einheitlich auftreten. Das war extrem schwierig und eine Meisterleistung unseres Präsidenten, alle Institute auf einen gemeinsamen Kurs zu bringen!

Ihre Leistungen sind erstaunlich dafür, dass Sie ja von Haus aus weder gelernter Journalist noch Medienfachmann, Naturwissenschaftler noch Betriebswirt sind, sondern Lehrer.

Innovated in Germany: Dokumentation eines Glanzstücks deutscher Technik durch Franz Miller (c) Hanser Verlag
Innovated in Germany: Dokumentation eines Glanzstücks deutscher Technik durch Franz Miller (c) Hanser Verlag

FM:  Ich habe Germanistik, Geschichte und Politik studiert und an verschiedenen Gymnasien vier Jahre lang Deutsch, Geschichte und Sozialkunde unterrichtet. Dann wechselte ich an das Starnberger Forschungsinstitut für Friedenspolitik, um eine Medienabteilung aufzubauen. Die 1980er Jahre waren ja politisch sehr aufregend, mit der Nachrüstung durch atombestückte Pershing-Raketen und der Friedensbewegung, die aus dieser Kontroverse erwuchs. Ich half noch, den Institutsleiter Alfred Mechtersheimer für die Grünen in den Bundestag zu bringen, nach dem Abschluss der Verträge über den Abzug der Pershings schien mir die Hauptaufgabe erledigt. ‚Jetzt habe ich die Welt gerettet’, sagte ich mir, ‚und nun wird es Zeit, dich selber zu retten’.

In den Schoß der Fraunhofers?

FM: Ja, und zwar als Innovator. Die hatten 1988 nur Großrechner in den Büros der Zentralverwaltung und ich brachte aus Starnberg meinen eigenen PC mit einer 20-MByte-Festplatte mit. Als Motivation brachte ich außerdem eine seit Kindesbeinen mich begleitende große Neugier an Technik mit. Ich erlebte bei der Fraunhofer-Gesellschaft eine Zeit großer Freiheit mit wenig Grenzen. „Machen Sie!“, hieß es immer, „wir sind froh, wenn’s läuft“.

Stießen Sie als Außenseiter, dazu noch friedensbewegt, denn auf keinerlei Ablehnung?

FM: Kreativität und Motivation waren wichtiger als politische Ansichten. Denn ich sollte ja Neues aufbauen und war der erste Presseredakteur, hatte am Anfang noch nicht einmal einen Chef, der musste erst gesucht werden. Also habe ich – allein auf mich gestellt – ganz mutig begonnen und mich begeistert in die Aufgabe geworfen. Da ich meine Chefs von den vielen neuen Ideen immer wieder überzeugen konnte, machte mir die Arbeit außerordentlich viel Spaß, denn ich konnte eigenständig gestalten. Vor allem unter dem Präsidenten Hans-Jörg Bullinger*, der für jede Überraschung zu haben war. So ließen wir zum 60jährigen Jubiläum einen riesigen Ausstellungs-Truck bauen und zwei Jahre lang mit Fraunhofer-Highlights durch die Lande fahren.

Ein Riesenerfolg war ein Technikkinderbuch, hört man bis heute, wie kam’s denn dazu?

FM: Der Präsident wollte zu Weihnachten nicht schon wieder einen altmodischen Kalender verschenken. Also präsentierten wir fünf Vorschläge, ganz am Ende auch ein Kinderbuch, obwohl wir und ich selbst kaum glaubten, dass dies den Vorstand beeindrucken könnte. Doch der Präsident entschied sich dafür – und hatte den richtigen Riecher. Noch nie hatten wir so viele Dankesbriefe für ein Weihnachtsgeschenk bekommen. Politiker und Unternehmer hatten nun endlich etwas in der Hand, mit dem sie ihren Neffen, Nichten und Enkeln ihre Begeisterung für Technik vermitteln konnten. Ein schöner Lohn dafür, dass wir im Team dafür ein halbes Jahr lang Schwerstarbeit leisten mussten, denn so etwas hatten wir noch nie gemacht. Aber es ist uns in der extrem kurzen Zeit gelungen – mit viel Schweiß, Inspiration und Liebe zum Detail.

Millers Meisterstück: ein Kinderbuch als Weihnachtsgeschenk als ein langweiliger Kalender (c) Miller
Millers Meisterstück: ein Kinderbuch als Weihnachtsgeschenk statt eines langweiligen Kalenders (c) Miller

Da haben Sie ja ganz schön hoch gepokert.

FM: Wir hatten nie Angst vor dem Risiko. Wir arbeiteten oft am Rande des Scheiterns, aber es ist nie etwas Schlimmes passiert. Präsident Bullinger gab uns das mit einem Zitat des Autorennfahrers Stirling Moss  vor: „Wenn du alles unter Kontrolle hast, fährst du nicht schnell genug!“ Letztlich war unser Motto, wir schaffen es DOCH! So hieß dann auch unser Imagefilm, der die Innovationskraft von Fraunhofer ausdrückte.

Sie als Zeitzeuge, vom Kalten Krieg bis zur Globalisierung und nunmehr Postfaktischem Zeitalter: Was waren für Sie wichtige Stationen?

FM: Ich kam ja aus einer Zeit der allgemeinen Technikapathie in den 1980ern. Nach der Wende war die Wirtschaft vor allem mit dem Verkaufsboom im Osten beschäftigt. Erst Schröders Initiative „Partner für Innovation“ in den Nullerjahren legte den Grundstein für eine neue Bewertung von Forschung und Technik. Jetzt rückte die angewandte Forschung in den Fokus von Wirtschaft und Gesellschaft. Dadurch konnte die Fraunhofer-Gesellschaft erheblich an Ansehen gewinnen und mit anderen Forschungsorganisationen wie der Max-Planck-Gesellschaft gleichziehen.

Was waren die Glanzlichter?

FM: Die weltweit bekannteste Entwicklung war mp3, ein Datenkompressionsverfahren für Audiodateien**. Sodann die Solartechnik, bevor sie nach China abwanderte. Robotik mit einer Vielfalt von Servicerobotern, bis ins Krankenhaus. Alles rund ums Haus und Gebäude, vom intelligenten Haus bis zum Niedrigenergiehaus. Innovationen im Auto mit einer vielfältigen Sensorik, größtenteils aus Fraunhofer-Instituten. Und, natürlich, nicht zu vergessen: LEDs. Wenn heute Ampeln viel kräftiger leuchten und somit mehr Sicherheit ermöglichen, dann waren Fraunhofer-Institute daran maßgeblich beteiligt.

Der Münchner Raum mit seiner innovations-getriebenen Forschung heißt ja auch Isar-Valley. Warum können wir nicht mit Silicon Valley mithalten?

FM: Die Kreativität hätten wir schon, aber nicht das Geld und die Risikomentalität. Kalifornien hat ein Faible für junge Gründer und Start-Ups. Für zündende Ideen finden sich rasch 100 Millionen Dollar. Diese Leichtigkeit gibt es bei uns nicht, vor allem auch, weil es keine Leute gibt, die mit solchen Summen ins Risiko gehen können.

Der alte Markenname „Made in Germany“ ist durch „Innovated in Germany“ abgelöst worden, wozu auch Ihre Arbeit beigetragen hat. Eine Brücke in die Zukunft, werden wir davon leben können?

FM: Anders als England mit einem großen Dienstleistungsangebot haben wir  auf die Produktion gesetzt und sind damit Exportweltmeister geworden. Im Maschinenbau und in der Werkstofftechnik sind wir auch für die kommenden Jahre gut aufgestellt. Im Mittelstand gibt es viele „hidden champions“. Wussten Sie, das eine deutsche Firma für die ganze Welt die Einkaufswagen herstellt? Die duale Ausbildung in Betrieb und Schule lässt das deutsche Handwerk nach wie vor topfit dastehen. Life Sciences bleiben angesagt, etwa durch Molecular Pharming. Das ist die Herstellung von Arzneimitteln in gentechnisch veränderten Pflanzen wie Tabak.

Und wie sehen Sie die aktuelle Medienlandschaft?

FM: Die traditionellen Leitmedien haben leider ihre Stellung verloren. Heute regiert das Internet, das sich in unendlich kleine Gruppen auflöst. Jeder wird zu seinem eigenen Verlag. Das befördert viele Halbwahrheiten und obskure Inhalte, jenseits des Faktischen, was alles auch zum Siege Trumps beigetragen hat. Diese Hysterie, das Umgehen des Korrektivs Presse und die bewusste Verdrehung der Tatsachen bestürzen mich. Glauben wollen wird wichtiger als Wissen wollen. Als aufgeklärter und freiheitlicher Mensch frage ich mich, warum die Menschen nicht merken, dass sie für dumm verkauft werden?

Was ist Ihr Berufsethos? Manche Journalisten blicken ja auf die Kollegen in der Öffentlichkeitsarbeit als PR-Fuzzis herab, mit Recht?

Zwei TELIaner auf dem roten Sofa: Wolfgang Chr. Goede und Franz Miller (c) Goede
Zwei TELIaner auf dem roten Sofa: Wolfgang Chr. Goede und Franz Miller (c) Goede

FM: Nein, denn auch hier hat sich viel verändert. Alles ist professioneller geworden und wir sind uns klar, welche Rolle wir jeweils einnehmen. Unser aller Aufgabe in den Medien und in der Kommunikation von Wissenschaft ist es, die Informationen auf Herz und Nieren zu prüfen. Das passiert nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in allen guten Pressestellen. Materialien, die der Apparat liefert, werden sorgfältig gecheckt, bevor sie an die Medien weitergegeben werden. Der Medienjournalist wiederum verifiziert die Informationen aus den Pressestellen und gibt sie bearbeitet an die Öffentlichkeit weiter.

Die Checks and Balances, die besonders im angelsächsischen Demokratieverständnis so wichtig sind.

FM: Genau, denn in diesem Prozess des Sich-Gegenseitig-Kontrollierens entsteht die aufwendige Annäherung an die Wahrheit. Davon profitieren alle, die seriös arbeiten. Nicht viel anders arbeiten übrigens ja auch Forscher in dem Peer-Review-Prozess. So bringen wir gemeinsam Licht in den Nebel, rollen dafür wie Sisyphos den Stein der Wahrheit immer wieder den Berg hinauf.

Was wäre in dieser Situation Ihre Botschaft an die TELI?

FM: Genauso wie ich an die Zukunft des Journalismus und die ewig neue Suche nach der Wahrheit glaube, glaube ich an die jungen Leute. Die Jugend, auch wenn sie mit den Medien anders umgeht, ist unsere einzige Zukunft – das gilt auch für die TELI. Die jungen Leute müssen in die TELI, sie sollen sie neu erfinden, sie spielerischer, lustiger, kreativer machen, etwa durch Videoclips oder andere neue Stilmittel.

Nach der Altersteilzeit ist heute ihr erster offizieller Tag im Ruhestand. Was für Pläne haben Sie, wie geht’s weiter?

FM: Ich habe gerade mit meinem Sohn ein Kinderbuch über Tiere geschrieben. Er studiert Biologie und wir bereiten alte Geschichten auf, die wir gemeinsam ausgesponnen haben, als er klein war. Darüber hinaus freue ich mich darauf, nicht jeden Tag ins Büro gehen zu müssen, eine Zeitung auch mal ganz lesen zu können, mehr Zeit für Familie und Freunde zu finden, ab und zu ein wenig Fußball zu spielen, jedes schöne Wetter zum Wandern und Radfahren zu nutzen und viele kurze und lange Reisen zu unternehmen.

Keine Anfragen, irgendwo wieder mit anzupacken?

FM: Doch, schon. Ich arbeite immer mal wieder an einzelnen Projekten mit, auch bei meinem früheren Arbeitgeber – aber nur, wenn es mir interessant erscheint und ich mir die Arbeit frei einteilen kann. Denn allzu schnell wird man wieder angebunden und gerät in Stress. Den muss ich aber nicht mehr haben.

Interviewt wurde Franz Miller durch den stellv. TELI-Vorstand Wolfgang Chr. Goede. Er kennt den Jubilar seit Jahrzehnten aus seiner eigenen journalistischen Arbeit. Protokolliert wurde das Gespräch, altersgemäß und wie es sich für zwei 65-Jährige gehört: auf einem Papierblock mit einem Mont-Blanc-Füller in silbergrauer Tinte. Nachdem eine Tintenfüllung über 27 groß beschriebene Seiten geleert war, wurde nach zweieinhalb Stunden im Münchner Stadtcafé der Schlusspunkt gesetzt.

 *) Hans-Jörg Bullinger, Arbeitswissenschaftler, von 2002 bis 2012 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

**) Darüber veröffentlichte der Interviewte ein viel beachtetes Buch:
Franz Miller. Die mp3 Story. Eine deutsche Erfolgsgeschichte. Hanser München 2015, 26 €
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-mp3-story/978-3-446-44471-3/

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