Auf dem Radar: Diskussion über Technik und Gesellschaft

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München, 2018-10-12: Mit gemischten Gefühlen sehen die Deutschen „die Technik“, insbesondere die Digitalisierung und ihre Folgen. Auf der Grundlage der Studie „Technik Radar 2018 – Was die Deutschen über Technik denken“ entwickelte sich eine intensive Diskussion über die Folgen für die Gesellschaft.

München – Gibt es sie tatsächlich, die „German Angst“ vor technischen Entwicklungen? Wie stark, wenn überhaupt, unterscheiden sich die Einstellungen von deutschen Männern und Frauen zur Technik und ihren Folgen für die Gesellschaft?

Aufschlussreich: Interessante Gesichtspunkte beleuchtet der intensive Gedankenaustausch nach der Präsentation der Studie.
Laut TechnikRadar 2018 sieht nur ein Drittel der Deutschen die Technik vorbehaltslos als Problemlöser, deutlich mehr, rund 40 Prozent, sind hierzu gespaltener Ansicht: Längst nicht alle Deutschen erwarten, dass die technische Entwicklung helfen werde, zentrale Probleme der Menschheit zu lösen, wie Hunger, Armut, Klimawandel: Jeder Vierte geht davon aus, dass die Technik mehr Probleme löst als sie schafft.

Immerhin jeder Zweite glaubt, dass die Technik die Lebensqualität künftiger Generationen verbessern werde, 69 Prozent der Befragten aus den neuen Bundesländer sieht dies so.

Generell gilt: Deutsche Männer sind deutlich Technik-optimistischer, je jünger die Befragten, desto technikaffiner sind sie. In der Altersgruppe der 35- bis unter 65-Jähringen bezeichneten sich beispielsweise 84 Prozent der Männer, aber nur 29 Prozent der Frauen als „an der Technik interessiert“.

Mehr als 90 Prozent gehen davon aus, dass den technischen Fortschritt niemand aufhalten könne, nur 38 Prozent fordern, dem Grenzen zu setzen. Eine klare Mehrheit von 60 Prozent erwarten zunehmend Zwänge durch die Technik. Weitgehend Konsens besteht für technische Neuerungen, wenn sie im Einklang mit sozialen Werten wie Umweltschutz oder Gerechtigkeit stehen. Ein Viertel findet Technik nur gut wenn, es davon persönlich profitiert.

Begeisternd: Professor Cordula Kropp erläutert die Ergebnisse der Studie TechnikRadar 2018.
Die in München lebende Professorin Cordula Kropp ist die Projektleiterin der jährlich erscheinenden Studie Technik Radar, finanziert von der Acatech und der Körber-Stiftung. Sie lehrt an der Universität Stuttgart am Institut für Sozialwissenschaften. Kropp erläuterte an der Acatech, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Ergebnisse unter Hintergründe der aktuellen Studie genauer. Von 10.000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmern nahmen 2.002 daran teil. Sie äußerten sich durchschnittlich 35 Minuten lang zu Fragen der Technik.

Typisch deutsch sind große geschlechtsspezifische Unterschiede

Routiniert: Arno Kral, 1. Vorsitzender der TELI, moderiert die Diskussion.
Der Technik Radar 2018 bestätigte zunächst „genau das, was wir schon zuvor vermutet hatten“, wie der Diskussionsleiter der anschließenden Podiumsdiskussion, der TELI-Vorsitzende Arno Kral, süffisant anmerkte. Es gibt sie nach wie vor, eine „deutsche“ Einstellung zu technischen Entwicklungen und ihren Folgen – und diese wiederum unterscheidet sich nochmals signifikant bei Frauen und Männern, sie ist alters- und bildungsabhängig, es gibt zugleich nochmals große Unterschiede bei West- und wie Ostdeutschen. Überraschenderweise sei dies in anderen europäischen Ländern völlig anders, merkte Kropp an: „In Italien gibt es keinen nennenswerten geschlechtsspezifischen Unterschied. Dort studieren auch mehr Frauen als Männer die sogenannten MINT-Fächer.“

Warum das so ist, konnten auch die übrigen Teilnehmer auf dem Podium nicht sagen – die beiden Doktoranden Saskia Brill und Simon Märkl, beide vom Rachel Carson Center for Environment and Society in München.

Menschlichkeit in der Pflege gefragt

Ein sehr klares Bild zeichneten dafür die Antworten, wo der verstärkte Technikeinsatz sinnvoll sei und wo nicht. Roboter in der Pflege lehnen 57 Prozent der Befragten ab, 80 Prozent erwarten weniger menschliche Zuwendung durch deren Einsatz.

Folgenreich: Die Auswirkungen der Technik sehen die Podiumsteilnehmer als diskussionswürdig an.
Der Sicherung von Arbeitsplätzen durch Technik stimmen 97 Prozent zu, 88 Prozent der Möglichkeit, durch Technikeinsatz die Klimaerwärmung zu begrenzen.

Geht es um vollautomatisiertes Fahren, sind 65 Prozent nicht bereit, Verantwortung an das Fahrzeug abzugeben; 40 Prozent sind ambivalent bei der Frage, ob sich dadurch auch weniger Unfälle ereignen würden.

Beim Thema SmartHome zeigte sich eine ausgeprägte Technik-Skepsis; aktuell nutzen nur 8 Prozent der Deutschen SmartHome-Systeme. Mehr als jeder Dritte (36 Prozent) hält es für „sehr wahrscheinlich, dass Internetkriminelle die Wohnung kontrollieren“ könnten.
Eine längere Selbstständigkeit im Alter erwarten nur 14 %, aber 66 % befürchten eine Abhängigkeit vom Hersteller bei Pflegerobotik.

Soziale Einbettung im Mittelpunkt

Als Fazit zog Studienleiterin Kropp: „Nicht die Technik an sich steht im Mittelpunkt, sondern die soziale Einbettung.“

Der Fachjournalist Gottfried Hiesinger vertiefte diese Aussage: „Wer verfügt darüber?“ Firmen wie Microsoft oder Apple würden jetzt schon machen, was sie wollten, ohne Rücksicht auf die Anwenderinteressen, dies bedürfe dringend gesellschaftlicher Kontrolle. „Technik an sich ist nicht gut oder böse. Die Frage ist: Wer ist Herr der Technik?“

Ins gleiche Horn stieß Märkl: „Wer entwickelt, wer testet, wer entscheidet darüber, was eingesetzt wird?“ Technologien würden immer anders angewendet als ursprünglich gedacht.

Kropp beruhigte: „Längst nicht alles, was lukrativ wäre, kommt zur Marktreife – es sind nur etwa sechs Prozent des technisch Möglichen.“ In den anschließenden Netzwerk-Gesprächen problematisierten verschiedene Teilnehmer die Tatsache, dass auch sehr sinnvolle Technologien – Professorin Kropp nannte exemplarisch die Nutzung von Brauch- statt Frischwasser für die WC-Spülung – häufig nicht zum Einsatz kommt.

Großer Gesprächsbedarf: Dr. Marc-Denis Weitze, Susann Enders und Professorin Anke van Kempen (rechts) wollen den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik vertiefen.
In der weiteren Diskussion herrschte Konsens, dass es noch erheblichen Forschungs- und vor allem Diskussionsbedarf über die Verwendung technischer Entwicklungen gibt – nicht zuletzt auch mit politischen Entscheidungsträgern. Unter den 47 Teilnehmern der Veranstaltung befand sich mit Susann Enders, Mitglied des Landesarbeitskreises Erneuerbare Energie und stellvertretende Bezirksvorsitzende der Freien Wähler, zum allgemeinen Bedauern allerdings nur eine einzige Politikerin.

Die Veranstaltung fand in der Reihe Acatech am Dienstag unter der Leitung von Dr. Marc-Denis Weitze in Kooperation mit der TELI (Technisch-Literarische Gesellschaft) statt. Beide Kooperationspartner werteten diese Veranstaltung als Erfolg und wollen die Zusammenarbeit künftig vertiefen.


Fotos: Peter Knoll

1 Kommentar

  1. German Angst

    Der Begriff „German Angst“ ist ein urdeutscher Mythos. Søren Kierkegaard führte ihn 1844 in die internationale Philosophiediskussion ein. Seitdem hat sich dieses Narrativ ausschließlich in deutschen Köpfen festgesetzt. Wie Ulrich Greiner schon 2009 in der „Zeit“ (Nr. 21 vom 14. Mai 2009) feststellte, hat sich der Begriff international lange überlebt. Außer in Deutschland selbst redet keiner mehr drüber.

    Andere Stellungnahmen berücksichtigen

    Interessant wäre für diese TELI-Acatech-Veranstaltung sicherlich noch gewesen, wenn jemand die Stellungnahmen von Andreas Bett, Peter Dabrock und Armin Grunwald in die Diskussion eingebracht hätte, die das Science Media Centre am 25.05.2018 veröffentlicht hatte (https://www.sciencemediacenter.de)

    Italien, arme Länder und Frauen in MINT

    Frau Kropp stelle nach diesem Bericht Italien als so positiv heraus, weil dort mehr Frauen MINT-Fächer studiert haben, als in Deutschland.

    Aber eigentlich ist Italien ja ein Negativbeispiel, weil dort nach dem Eurobarometer von 2015 eine große Ignoranz gegenüber Technik und Innovation besteht.

    Gar nicht gut offenbar auch, dass dort mehr Frauen MINT-Fächer studieren. Denn das scheint ein negatives (Alarm-) Zeichen für die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein.

    Beispielsweise untersucht der Psychologe Gijsbert Stoet (Leeds Beckett University) seit zehn Jahren die Geschlechtsunterschiede bei der Bildung. In einer in diesem Jahr veröffentlichten Studie ([1], [2]) stellte er fest, dass in den Ländern, in denen die Gleichstellung der Geschlechter am besten wirklicht ist (und die gleichzeitig die reichsten sind), Frauen sehr viel seltener Abschlüsse in den MINT-Fachern anstreben. Seiner Meinung nach ist es möglicherweise nämlich so, dass für Frauen in armen Ländern und dort, wo sie besonders diskriminiert sind, die MINT-Karriere ein Ausweg aus der Unterdrückung ist.

    Italien wäre damit ein negatives Beispiel hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen. Und das will ja wohl niemand.

    Auch in der Türkei, in Portugal, im Iran und in vielen afrikanischen Ländern ist der Frauenanteil in den MINT-Fächern höher als in Deutschland oder Skandinavien, die Lage der Frauen aber katastrophal.

    Erheblicher Forschungs- und Diskussionsbedarf?

    Aber ansonsten können wir uns doch auf die Schulter klopfen. Es ist doch ein großartiges Zeichen, dass die Deutschen so gedankenvoll mit Technik umgehen und nicht jedem Technikgadget hinterlaufen.

    Im Artikel schreib Peter Knoll: „In der weiteren Diskussion herrschte Konsens, dass es noch erheblichen Forschungs- und vor allem Diskussionsbedarf über die Verwendung technischer Entwicklungen gibt – nicht zuletzt auch mit politischen Entscheidungsträgern.“

    Ich denke es muss umgekehrt sein: Wir müssen genau überlegen, für welche Probleme wir technische Lösungen brauchen und für welche nicht.

    Wir haben Lösungen, für die wir die Probleme erst noch suchen müssen

    Die drängendsten gesellschaftliche Probleme sind technisch sowieso nicht lösbar, wie z.B. die Verteilung von Reichtum, die Inklusion aller Menschen oder die Verantwortung gegenüber armen Ländern, für die unser technischer Fortschritt ja Hunger und Ausbeutung bedeutet. Selbst beim größten Problem, dem Schutz des Klimas, wären nicht-technische Lösungen zielführend, wie weniger Konsum, weniger Autofahren und Strom sparen.

    Mit den Innovationen ist es doch meist so: Erst wird eine neue Technik entwickelt und erst dann krampfhaft danach gesucht, was man nun damit anfangen soll. Ingenieure sind meist schon glücklich, wenn etwas funktioniert und weniger, wenn es ein Problem löst. Das ist eine Verschleuderung intellektueller Kreativität, wie ich finde.

    Technik ist, im Gegensatz zur Wissenschaft, kein Selbstzweck!

    (Ergänzungen und Änderungen 2018-10-12 19:25)

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