Alternativen zur Silizium-Technik
Seit dem Jahr 2004 gibt es so etwas wie einen Nobelpreis für Ingenieure. Die Finnische Akademie für Technologie vergibt ihn alle drei Jahre. Jeweils drei Forscher erhalten eine Auszeichnung, aber nur einer erhält das volle Preisgeld von 800.000 € und den Titel: Gewinner des Millennium-Preises. Vorher muss der Gewinner einiges leisten. Nicht nur wissenschaftlich, sondern auch vor Ort. Die findigen Finnen nutzen die Prominenz der Ausgezeichneten eine Woche für ein knallvolles Rahmenprogramm. So gut wie jede wichtige Firma des fünf Millionen Staates wird besichtigt oder darf sich präsentieren. Allen voran natürlich Nokia, seit dem Handy-Boom Aushängeschild der Finnen.
Diesmal gab die Jury ein klares Zeichen. Zum einen machte sie klar, dass in der Elektronik das Plastik-Zeitalter anbricht, denn zwei der Laureaten arbeiten auf dem Gebiet der organischen Polymere, die sich wie Halbleiter verhalten, aber ganz anders hergestellt werden und vor allem kein teures Silizium verwenden. Zum anderen in Richtung Sponsor Nokia. Stephen Furber, der jene Prozessor-Architektur erfand, die den Handy-Boom erst möglich machte, bekam den Preis nicht.
Ziel des Millennium-Preises ist es, Innovationen zu ehren, die sich positiv auf die Lebensbedingungen der Menschen auswirken und die Menschlichkeit moderner Technologie zeigt. Er wurde 2004 in Abstimmung mit der Nobelpreis-Stiftung entwickelt, um die „Ingenieur-Lücke“ der Nobelpreise zu schließen. Das Besondere: Jeder der Laureaten erhält zunächst den „kleinen“ Preis. Während der Übergabe lüftet dann der Vorsitzende der Stiftung das Geheimnis über den Gewinner des „großen“ Preises. Die Verlierer gehen mit 115.000 € plus einem stilisierten Gipfel nach Hause, der Sieger erhält 800.000 € und eine größere Version der Skulptur. Überreicht wird der Preis vom Finnischen Staatsoberhaupt in der finnischen Nationaloper. Das von der politischen Prominenz des Landes kaum jemand vor Ort war, zeugt vom noch entwicklungsfähigen Status des Preises. In zwei Jahren sind die VIP-Plätze in den ersten Reihen dann hoffentlich besser gefüllt. Vielleicht sind sieben Tage Millennium-Preis mit Dutzenden Veranstaltungen etwas zu viel für das beschauliche Helsinki, in der Woche des Nationalfeiertages.
Spannend wie beim Oscar
Die Organisatoren des Millennium-Awards machen es bewusst spannend indem sie den Gewinner Hauptpreises, des Millennium-Award, bis zur letzten Sekunde geheim gehalten. So sitzen dann drei hoch gerühmte Professoren wie Prüflinge im Frack und warten schwitzend in der Oper von Helsinki auf das Urteil der Jury. Diesmal war es besonders knapp. Michael Grätzel konnte es kaum glauben, als sein Name den zehn am häufigsten zitierten Wissenschaftlern seines Faches. Der aus Sachsen stammende Michael Grätzel studierte in Berlin-West Chemie und ist der erste deutschsprachige Gewinner des Preises. Er lebt und forscht allerdings seit Jahrzehnten in der Schweiz und ist Professor an der Ecole Polytechnique de Lausanne.
Den Preis erhielt er für eine spezielle Solarzelle, die auf technischem Wege die aufgerufen wurde. Schließlich ist die „Grätzel-Zelle“ inzwischen ein Produkt, mehr Kind der Industrie als der Forschung. Doch zuvor hatte Grätzel intensiv an den Grundlagen geforscht und ist zudem noch als Autor sehr aktiv. Er gehört zu Photosynthese in einem Pflanzenblatt nachbildet. Grundlage sind leitende, organische Kunststoffe. Auf diesem Gebiet arbeitet sein Co-Laureat Sir Richard Friend ebenfalls. Klarer kann das Signal der internationalen Jury kaum sein: Kunststoffe sind schwer im Kommen. Auch wenn der Millenniums-Preis selbst nach wie vor aus Silizium ist.
Beeren zwischen Glas
Obwohl niemand auf Grätzel gesetzt hatte, eines sprach von Anfang an für ihn als Gewinner: Keine Arbeit liegt in Zeiten der Ölpest im Golf von Mexiko und steigenden Energie-Preisen so sehr im Trend wie jene Farbstoff-Solarzelle, die überall nach ihrem Erfinder „Grätzel-Zelle“ heißt. Vielleicht gab das ja bei der entscheidenden Jury-Sitzung Ende Mai den Ausschlag.
Für Grätzel kommt der Preis zum richtigen Augenblick. Nach drei Jahrzehnten intensiver Forschung ist die Zelle dem Labor endgültig entwachsen und serienreif. Im britischen Cardiff (Wales) läuft seit 2009 die kommerzielle Produktion. Zufrieden ist der Chemiker aber noch lange nicht. Grätzel machte in Helsinki jedem klar, dass er den Preis pro Kilowatt auf das Niveau von konventionellen Kraftwerken drücken möchte.
Wie so oft gab eine Krise den Anstoß, neue Wege zu beschreiten. 1973 war der junge Chemiker Grätzel Zeuge der ersten Ölkrise. Dieses Erlebnis war für ihn Motivation genug, sich intensiv mit dem bislang unbekannte Gebiet der technischen Photosynthese zu beschäftigen. Zwischen Glasscheiben gepresster Früchte dienten zum Nachweis, dass organische Verbindungen unter Lichteinwirkung Strom produzieren. Die Grundidee ist bis heute geblieben. Zunächst ging es jedoch nur langsam weiter, zumal seine Fachkollegen das Unterfangen für hoffnungslos hielten.
Vor allem an der Effizienz haperte es. Die Zellen lieferten zu wenig Strom und erst die Nanotechnik brachte die Lösung. Die chemisch-physikalischen Prozesse spielen sich in schmalen Strukturen ab. Die technische Photosynthese erfordert eine große innere Oberfläche. 1988 war es soweit. Grätzel baute zusammen mit einem Doktoranden die erste ernst zu nehmende Solarzelle mit Farbstoffen. Im Inneren besteht sie aus einer hoch poröse Struktur aus Titandioxid, die mit einem geeigneten Farbstoff beschichtet wird. Das Sonnenlicht trennt in der Farbstoffschicht die Ladungen in Gebiete mit Elektronen-Überschuss und solche mit Elektronen-Mangel. Alle verwendeten Materialien sind einfach und preiswert zu beschaffen. Statt des teuren Siliziums verwendet die Grätzel-Zelle preiswerte Farbstoffe, wie sie in Anstrichfarbe zu finden sind. Die Produktionsgeräte entstammen dem Gerätepark von Verpackungs-Produzenten. Mittelfristig sieht Grätzel die Möglichkeit, den Preis pro Kilowattstunde auf drei bis vier Eurocent zu drücken.
Die Solarzelle kommt als flexible Folie auf den Markt, die sich bequem zuschneiden und in bestehende Geräte oder Kleidungsstücke integrieren lässt. Zahlreiche Gegenstände innerhalb und außerhalb von Gebäuden könnte man quasi unsichtbar mit einer Folie aus Grätzel-Zellen überziehen und damit nahezu zum Nulltarif Strom erzeugen.
Null-Energiehäuser dank Solarfolien
Für Null-Energiehäuser sind transparente Wände und sogar Fenster denkbar, denn bei Bedarf filtern die Farbstoffe der Grätzel-Zelle nur die unsichtbaren Wellenlängen aus dem auftreffenden Licht. Grätzel Zellen sich von beiden Seiten lichtempfindlich. Das unterscheidet sie von herkömmlichen Siliziumzellen. Das ist vor allem bei bedecktem Himmel wichtig.
Schon heute sind in Mitteleuropa bei diffusem Licht und Wolken Solarzellen mit Farbstoffen ihren teureren Vettern aus Silizium ebenbürtig, nur bei direkter Sonneneinstrahlung, hat Silizium eine höhere Ausbeute. Grätzel möchte die Unterschiede weiter minimieren, immerhin steht die nach ihm benannte Zelle erst ganz am Anfang ihrer Karriere.
Ein Großteil des Preisgeldes wird Grätzel in neues Equipment stecken, um unter exakt kontrollierten Bedingungen verbesserte Zellen produzieren zu können. „Noch erreichen die Zellen nicht die theoretisch maximale Energieausbeute„, weiß der Professor, „es gibt noch ein enormes Potenzial für Verbesserungen.„
Erste kleine Ladegeräte für Mobiltelefone gibt es schon zu kaufen. Sein Herzensanliegen ist die Versorgung in Afrika: „Da gibt es in den meisten Regionen kein brauchbares Stromnetz.„
Riesenmonitore mit geringem Stromverbrauch
Von der Queen geadelt und Inhaber des höchst angesehenen Cavendish Lehrstuhles für Physik der Universität Cambridge, viel höher kann man als Physiker im Vereinigten Königreich kaum gelangen. Dass ausgerechnet Friend den Preis nicht bekam, lag wohl unter anderem daran, dass die Forschungsarbeiten viel breiter aufgestellt sind und einen anderen Schwerpunkt haben. Friend forscht vor allem am Gegenteil der Solarzelle, den Licht aussendenden organischen Leuchtdioden. Diese OLEDS (Organic Light Emitting Diods) nutzen Strom höchst geschickt aus, was sich in deutlich geringeren Verbrauchszahlen bei großformatigen Displays niederschlägt. OLEDs leuchten selber, brauchen also keine Beleuchtung aus dem Display-Hintergrund.
Kohlenstoffbasierte Polymere können aber noch mehr. Man kann Transistoren aus ihnen herstellen und sogar intelligente Schaltkreise. Sie sind größer als die bekannten Chips von Intel & Co, aber dafür enorm preiswert, energieeffizient und vor allem ganz anders zu verarbeiten. Man kann sie mit einem Tintenstrahl-Drucker auf Papier spritzen.
Alles begann mit einer unerwarteten Erkenntnis. Friends Arbeitsgruppe entdecke in den späten 80er Jahren, dass sich bestimmte organische Polymere wie anorganische Halbleiter verhalten, und öffnete damit die Tür für einen völlig neuen Zweig der Elektronik. 1988 baute Friend den ersten Kunststoff-FET-Transistor.
Polymer-Transistoren sind einfach und preiswert in der Herstellung. Es genügen normale atmosphärische Bedingungen und Temperaturen, während anorganische Halbleiter nur unter Vakuum und hohen Temperaturen herzustellen und zu verarbeiten sind. In jedem Fall entfallen aufwändige und teure Fabrikationsanlagen.
Noch im Sommer kommt ein erstes Consumer-Produkt aus seiner Forscherwerkstatt in den Handel. Friend gründete die Firma „Plastic Logic“, die den QUE eReader produziert, ein mechanisch sehr stabiles Lesegerät mit einem flexiblen OLED Kunststoffdisplay. Ein Reader für alle Arten gedruckter Inhalte, Zeitschriften inklusive.
Ganz ohne Preis musste Friend Helsinki aber nicht verlassen. Er gewann den (nicht zusätzlich dotierten) Publikumspreis der Akademie, den diese heuer erstmals auslobte. Abstimmen durfte jeder, der auf die Webseite der Akademie surfte.
Trostpreis für RISC
Einer musste sich allein mit dem kleinen Millennium Award begnügen. Im Nokia-Land Finnland ging damit der Mann als Verlierer vom Platz, der die Grundlage für 98 Prozent aller Mobiltelefone legte.
Stephen Furber, Professor für Computer Engineering an der Universität Manchester, ist der Hauptdesigner des auf 32 BIT RISC Technologie basierenden ARM-Mikroprozessors. Seine Innovation revolutionierte die Entwicklung der mobilen Elektronik.
Heute kommt kein Mobiltelefon und kein MP3 Player ohne RISC Architektur aus, Furber leitete das Team, das den ersten RISC Prozessor entwickelte. Er besaß nur 25 000 Transistoren und war trotzdem schneller als der viel komplexere 80 256 Prozessor von Intel. Entwickelt wurde er „ohne Geld und ohne humane Ressourcen, wie Furbers damaliger Arbeitgeber Hermann Hauser erinnert. Daher stand fest: es musste alles so einfach und simpel wir möglich konstruiert werden.
Angetrieben wurde die Entwicklung durch die Rivalität der beiden Home-Computer-Philosophien in Großbritannien dem ZX Spectrum von Sinclair und dem BBC Micro von Chris Curry, dessen Rechnerherz Stephen Furber konstruierte. Beide sind inzwischen Geschichte, doch die RISC-Idee und die Design-Schmiede ARM lebt weiter.
RISC Prozessoren sind nicht für die komplexesten Aufgaben maßgeschneidert, sondern für solche, die mit wenig Energie erledigt werden müssen. Pro Energieeinheit liefern sie die meiste Leistung.
Bis 2010 haben diverse Chip-Hersteller zusammen rund 18 Milliarden Prozessoren mit ARM-Design produziert, vor allem für den Markt der Embedded-Rechner und Mobilgeräte. In einem Mittelklasse Auto regeln rund ein Dutzend ARM-Prozessoren die Befehlsströme.
Furber ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, Zurzeit lässt er eine neue Genration von RISC Prozessoren bauen, die er in ein flexibles Netzwerk stecken möchte. Dieser eng vermaschte Parallelcomputer soll das menschliche Gehirn simulieren. Wie in unserem Denkapparat, spielen die Verschaltungen der einzelnen Knoten eine entscheidende Rolle. Daher soll sie nicht starr, sondern hoch flexibel sein. Mediziner beraten das Projekt der Informatiker. Erste Ergebnisse sollen in zwei Jahren verfügbar sein.
Nur beim allerersten Millennium-Preis, traute sich die Jury mit dem Erfinder des WWW Tim Berners-Lee einen Laureaten auszuzeichnen, der keine Chance auf einen der großen, anderen Preise mit Frackzwang hat. Seitdem setzt man auf die sichere Seite. Wissenschaftler, die ganz vorne am Zitation-Index rangieren, und deren Forschungsgebiet gut etabliert ist. Ingenieure mit genialen Einzelideen bleiben wie immer außen vor. Trotzdem aller Etabliertheit nimmt den Millennium-Preis kaum jemand aus der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis. Kaum eine Deutsche Tageszeitung übernahm die Agenturmeldungen zur Preisvergabe an Grätzel, während bei Nobelpreisen Dutzende von Fernsehteams losgeschickt werden. Eigentlich schade.
Bernd Schöne