Von Populismus, Atem-Atomen und Zukunftsvisionen

ECSJ 2017 in Kopenhagen: Was Europas Wissenschaftsjournalisten im postfaktischen Zeitalter wollen und wie die Medien der Zukunft sich vielleicht eventuell in etwa einstmals entwickeln könnten.

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Ein halbes Jahr ist ins Land gegangen, seit sich „Science Reporters“, „Science Writers“ und solche, die es werden wollen, in Dänemarks Hauptstadt versammelten. Fünf Tage lang lockte im Sommer die „European Conference on Science Journalism“, zum aktuell vierten Mal übrigens. In den lichtdurchfluteten Gebäuden der IT-University, hunderte Gäste im laufenden Betrieb – und mit krönendem Abschluss im Alternativ-Viertel Christiania. Aber vorher: Podiumsdiskussionen, Vorträge, Workshops. Durchdiskutierte Kaffeepausen (das mit den Nächten, ach, das war mal…).

Und kaum kommt man nach Hause, den Kopf voller Eindrücke und Kontakte, Ideen und leichter Euphorie – schlägt der „liegen gebliebene“ Alltag erstmal wieder zu, fordert Zeit plus Aufmerksamkeit. Aber die Konferenz steckt noch im Hinterkopf, arbeitet dort weiter, meldet sich immer mal in den Gedanken. Und jetzt ist er endlich fällig, der Kurzbericht:

Was von der ECSJ 2017 übrig blieb

Aufmerksames Publikum, forschender Nachwuchs (Bild: Dörte Sasse)
Aufmerksames Publikum, forschender Nachwuchs (Bild: Dörte Sasse)

Besonders interaktiv, sehr kommunikativ sollte laut Ankündigung alles werden: nicht nur Panels, Workshops und Vorträge auf der Konferenz, sondern auch “streaming video und podcast” frisch vom Ereignis. Die digitale Moderne zeigte sich in zahlreichen Hashtags, von #ecsj2017 bis zu #evidencematters. Ein eigener Twitterkanal liefert noch heute einen guten Einblick (www.twitter.com/ecsj2017).

Es gab Angebote zum topmodernen Arbeiten, zum Bloggen und Vloggen und Podcasten, vom “Virtual Reality Lab” bis hin zu “new business models”. Der dänisch-isländische Künstler Olafur Elíasson zeigte, wie er Wissenschaft in seine Kunst einbaut. Und auch andere Kunstschaffende hatten sich in den Unigebäuden verewigt – ohne Führung konnte ich mit den blinkenden Punkten der Installation aber auch nix anfangen…

Natürlich war der “digital native” Nachwuchs dabei. Zum einen dänische Schüler, die in einem landesweiten Wettbewerb “wissenschafts-journalistische Produkte” verfasst und damit gewonnen hatten – leider hab ich keine ihrer Stories zu Gesicht bekommen. Zum anderen ein Haufen Journalistik-Studenten war vor Ort, auch ein ganzes Team aus Deutschland. Sichtbar waren vor allem “those two blond girls”, Antonia und Cora, die Interviews führten und alle Konferenztage im Vlog zusammenfassten (Material zum Nachgucken und -lesen unter www.ecsj2017.com/articles)

Und der Inhalt?

Führerlose Metro, das moderne Kopenhagen (Bild: Dörte Sasse)
Führerlose Metro, das moderne Kopenhagen (Bild: Dörte Sasse)

“Bringing science foward” war das Motto – und die Hauptthemen: Klimawandel und seine Leugnung; Faktenmanipulation in den Medien; Themen-Umsetzung in den Sozialen Medien; verantwortliche Wissenschaftskommunikation vs. Populismus; und in kleinen Pressebriefings nebenbei erläuterten Top-Forschungsinstitute vom ganzen Kontinent ihre neuesten Erkenntnisse – von schwarzen Löchern über antibakterielle Beschichtungen bis zu interaktiv-digitalem Spielzeug. Gerade top-aktuell…

“Make scientific facts great again”, das war eine der meistbesuchten Sessions in Kopenhagens Radiokonzerthalle, mit dem Zusatz “What Europe can do about it”. Gute Frage. Donald Trump ist ja nur die Spitze des Eisbergs – auch diesseits des Atlantik gibt es Lügenpresse-Zweifler und Klimawandel-Leugner. Und im Bereich der Medizin wächst ja die Zahl derer, die sich ihrer “alternativen Fakten” ganz sicher glauben…

Was tun gegen Populismus?

Das Panel aus Schottland, Belgien, Österreich und der Schweiz war sich recht einig, dass der Anteil der lautstarken Zweifler doch klein ist – aber leider lautstark. Und dass Forscher meist das Leise und Sachliche bevorzugen. Versuchen, neutral zu bleiben – auch wenn das nicht immer sinnvoll ist. Und dass sich eigentlich viel mehr Menschen für wissenschaftliche Fakten interessieren als man so hört. Laut Umfragen vertrauen sie zwar Forschern bzw. Ärzten, aber denjenigen, die deren Ergebnisse weiter tragen, also uns, irgendwie fast gar nicht. Hm.

Medizinmuseum Museion: Frühe Werkzeuge für Schädeloperationen (Bild: Dörte Sasse)
Medizinmuseum Museion: Frühe Werkzeuge für Schädeloperationen (Bild: Dörte Sasse)

Also was tun? Das Thema zog sich durch die ganze Konferenz. Journalisten müssen besser werden! Müssen die Forscher ernst nehmen, die Sorgen der “wissenschaftlich Andersgläubigen” genauso, müssen manchmal auch dem Druck der Redakteure standhalten. Müssen Komplexes herunterbrechen in einfach verständliche Happen. Und am besten alles durch innovatives “Storytelling” so spannend machen, dass man gar nicht am Thema vorbei kann…

Aber mal ehrlich: Ist das jetzt neu? War das nicht  schon zu analogen Zeiten das Ziel? Seit ie Menschen selbst “schnell mal im Netz nachgucken” können, ist höchstens die Ehrfurcht vor “Göttern in Weiß” gesunken – die Verachtung von “Schmierblattschreibern” eher nicht (sieht man mal von “Lügenpresse-Gläubigen” ab). Und die sollte auch nicht unbedingt sinken. Aber wer zählt denn dazu? Zählt man uns dazu? Gibt es eigentlich Umfragen zum Ansehen der unterschiedlichen Journalismus- und Medien-Sparten?

Glauben vs. Wissen

Medizinmuseum Museion: Kunstprojekt aus 27.774 Pillen und Kapseln, der 10-Jahres-Dosis einer Patientin mit der Diagnose Metabolisches Syndrom. (Bild: Dörte Sasse)
Medizinmuseum Museion: Kunstprojekt aus 27.774 Pillen und Kapseln, der 10-Jahres-Dosis einer Patientin mit der Diagnose Metabolisches Syndrom. (Bild: Dörte Sasse)

Ich würde mal behaupten, dass die Konferenzteilnehmer weder in denselben Topf geworfen werden wie Yellowpress-Schreiber noch wie politische Berichterstatter. Oder doch? Von wem? “Das Glauben ist viel stärker als das Wissen – also wie unterminiert man Glauben?” hieß es in der Podiumsdiskussion “Science journalism in a post-truth world”. Und: „Manchmal sind Glaubenssätze bequemer als die Wahrheit. Wissenschaft ist schwierig. Nicht jeder hat gelernt, damit umzugehen.“

Am Ende waren sich Panel samt Publikum ziemlich einig, dass es leider keine einfachen Lösungen gibt (Überraschung!). Dass Fakten leider nicht per se die Meinung von Menschen ändern. Und dass man eigentlich nur glaubhaft und ehrlich sein kann – und klarmachen muss, wie Wissenschaft und ihre Methoden funktionieren. Das möglichst im offenen Dialog ansprechen. Bevor blindes Vertrauen in ein generelles Misstrauen umschlägt…

Der US-Urgestein Shawn Otto diskutierte mit dem britischen Anti-Brexit-Wissenschaftler Michael Galsworthy über die Manipulation von Wissenschaft in den Medien – und darüber, ob es einen offenen oder verdeckten Krieg gegen die Wissenschaft gebe. Das führte dann wieder grob in Richtung Trump zurück…

Was ist hängen geblieben?

Podiumsdiskussion „ Make scientific facts great again”, Panel Rolf Heuer, Sofie Vanthournout, Dame Anne Glover, Angelika Mlinar (v.l.n.r.), Moderation: Wolfgang Goede (Bild: Dörte Sasse)Viele interessant klingende Workshops – wie immer zu viele gleichzeitig, um auch nur die Hälfte mitzubekommen. Spannende Menschen, Networking. Einige kannten einander offenbar schon lange, Szenen wie beim Klassentreffen. Gleich mehrere Telianer waren dabei, gaben Workshops oder moderierten Diskussionen, etwa Hajo Neubert und Wolfgang Goede.

Runter vom Campus führte eine Exkursion in Kopenhagens Medizinmuseum “Museion”, mit einem Hauch von Gruselkabinett – es erdet und verblüfft doch immer wieder, wie man früher (natürlich vor allem “Mann”!) ohne viel Technik und Wikipedia die Wissenschaft voran brachte…

Damals, heute, morgen

Vortrag/Show von Lawrence Krauss: Ein Künstler aus Christiania malt parallel das Gemälde zur Show (Bild: Dörte Sasse)
Vortrag/Show von Lawrence Krauss: Ein Künstler aus Christiania malt parallel das Gemälde zur Show (Bild: Dörte Sasse)

Im Prinzip läuft Wissenschaftsjournalismus doch immer aufs Gleiche hinaus – spannende Geschichten wollen erzählt sein, möglichst verständlich, eventuell emotional – in egal welchem Medium. Schreiben, Aufnehmen, Schneiden. Ist das “postfaktische Zeitalter” wirklich unausweichlich angebrochen? Oder gilt es nur für eine laute Minderheit?

Angeblich müssen die Wissenschaftler unterhaltender werden, wie man es von einigen US-Koryphäen kennt. Brauchen junge Wissenschaftler mehr Medientraining? Dann wären die Journalisten ja nicht mehr so wichtig. Aber was, wenn ein Forscher nur forschen will? Schließlich soll er sich möglichst gut auf möglichst wenig konzentrieren. Und die Journalisten möglichst gut auf möglichst viel, nämlich auch noch den Kontext des Themas plus das Einordnen der Ergebnisse.

Mit oder ohne Show

Vortrag/Show von Lawrence Krauss – der Meister in Aktion (Bild: Dörte Sasse)
Vortrag/Show von Lawrence Krauss – der Meister in Aktion (Bild: Dörte Sasse)

Am besten ein bisschen unterhaltsam. Muss ja nicht gleich eine große Bühnenshow werden wie bei Lawrence Krauss, am Donnerstag mitten in Christiania. Mit viel Tamtam und Lichteffekten, einem “Maler zum Vortrag”, Cocktails und Orgelmusik (eine Ahnung davon gibt ein Video von 2009, noch ohne die Showelemente: www.youtube.com/watch?v=7ImvlS8PLIo). Der Physiker und populäre Autor kombinierte die Weltraumforschung mit der großen Sinnfrage: “Warum reisen wir auf einem großen Felsbrocken durch das All?”. Erzählte und philosophierte, wie sich das Universum ausdehnt. Wie jedes Atom in uns vom Urknall herrührt – und wer schon mal dieselben Atome ein- und ausgeatmet habe wie wir im Moment.

Aber eigentlich lautet die – zeitlose – Frage ja: Wie vermittelt man den Menschen, dass wir wirklich auf einem großen Fels durchs All reisen? Möglichst so, dass sie es glauben – und gerne mehr wissen wollen?

Autor: Dörte Sasse

Ergänzung 2018-01-24

Auf der EUSJA-Webseite gibt es den offiziellen Bericht vom Europäischen Kongress der Wissenschaftsjournalisten ECSJ 2017: www.eusja.org

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