Wissenschaftsbücher für den Gabentisch

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Das Buch ist und bleibt eines der beliebtesten Geschenke, auf Papier oder elektronisch. Ein TELI-Guide für alle, die Aufklärung und Unterhaltung über brennende Themen aus Wissenschaft, Technik, Forschung verschenken möchten.

Sexy Seetang

Bernd Sommer, Harald Welzer
Transformationsdesign
Wege in eine zukunftsfähige Moderne
oekom 2014, 19,95 €
https://www.oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/transformationsdesign.html

csm_9783865816627_4bff9009b0_0459785c61Es hat sich herumgesprochen: Ob wissenschaftlich, umwelttechnisch, jetzt auch politisch, unsere Zivilisation ist auf ihrem Weg in die Zukunft in eine Zeitenwende hineingeschwungen – und alles hängt miteinander zusammen. „Transformation“ heißt das Zauberwort. Über ihre Gestaltung gibt ausführlich Auskunft dieses Büchlein, das der renommierte Vor- und Querdenker Harald Welzer als Autor co-signiert.

Weniger ist mehr, das ist das unvermindert aktuelle Mantra des bereits 2014 erschienenen Werkes, mit den Schlagworten: „Umnutzen, nachnutzen, mitnutzen!“ Also: Energie und Ressourcen einsparen, recyceln und upcyceln, Open Source Management und Share Economy Wirtschaften.

Mit E-Autos (vor die sich jetzt endlich der krisengeschüttelte VW Konzern energisch spannen will); einer mutig durchgesetzten Energiewende (die Deutschland zum weltweiten Pionier des energie- und umwelttechnischen Umdenkens gemacht hat, die weiter durchgesetzt werden will); einer auf Nachhaltigkeit, aber auch Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit und darin auf weltweite Solidarität setzende Politik, auch und besonders im Gegensatz zu den großen Blöcken Russland, China, USA.

Alle sind Mitveranstalter

Wenn es heißt, das auf Europa und besonders Deutschland im Herzen des Kontinents neue weltweite Führungsaufgaben zukommen, wenn der US-amerikanische Schutzschirm sich unter Präsident Trump zurückzieht, dann ist Transformationsdesign der einzuschlagende Wege.

Auch im Geiste von modernen Moderationstechniken wie Open Space, die auf Co-Kreation, gemeinsamen Schöpfergeist setzen und alle Bürger zu Mitgestaltern machen. Etwa mit Divestment, indem Sie ihr Geld dort abziehen, wo es nicht zum Nutzen der Umwelt eingesetzt wird, etwa in Kohlenkraft fließt. Indem Sie selber zum Visionär werden, z.B. bei der Nutzung von Seetang, sowohl für die gute Ernährung als auch für ausgefallene Möbel und andere Alltagsgegenstände.

Also, willkommen im Post-Carbon, jeder kann daran mitschöpfen, an einer neuen Aufklärung und einer „neuen Mündigkeit“, hin zum „emanzipativen Design“ (S.117).  Das ist auch die Antwort auf die neuen Nationalisten und Populisten, die in Verkennung der komplexen Realität dieselbe mit Brexit und Trumpismus sich so zurechtbiegen, wie sie gerade in ihr Weltbild passt. Insofern: Transformationsdesign bietet dem Post-Faktischen (auf englisch übrigens: Post Truth, „Nachwahrheit“) die Stirn.

Gereimte Medizin

Doktor Kästners Lyrische Hausapotheke
dtv, 29. Auflage 2015, 8,90 €
https://www.dtv.de/buch/erich-kaestner-doktor-erich-kaestners-lyrische-hausapotheke-11001

9783423110013Kästner schrieb sich einst jungen Menschen, heute Bestager und älter, nachdrücklich ins Gedächtnis mit seinen unvergleichlichen Kinderkrimis. Vielen nicht geläufig: Er war ein hervorragender Dichter, Meister der Metapher, Literat und Philosoph. Vieles davon fließt zusammen in dieser aus Buchstaben und Worten zusammengereimten Hausapotheke. Es ist dies eine Sammlung von Kästner-Gedichten der 1920er und 30er Jahre, ein Longseller, mittlerweile in der 29. (!) Auflage, nach wie vor lesenswert, immer mal kurz für zwischendurch.

Erfrischend Kästners Wortwitz, ausgedrückt etwa durch: „Was ist ein Streber – Der Affe im Kulturwald“, kraftvoll seine Bilder wie „Greise lächelten wie Konkubinen“ und „Er stand allein und kämpfte ehrlich Und schlug der Zeit die Fenster ein“.

Gutes tun!

Augenöffnend Kästners sarkastischer Realismus wie „Lebten sie im Paradiese, ohne Pflicht und Ziel und Not, wäre die erste Folge diese: Alle schlügen alle tot“, Balsam sein Trost. „Sei traurig, wenn du traurig bist, und steh nicht stets vor deiner Seele Posten! Den Kopf, der dir an Herz gewachsen ist, wird’s schon nicht kosten.“

Und wer könnte dicke Wälzer über Ethik und menschlichen Anstand so pointiert auf 33 Zeichen zusammenfassen? Nur Kästner, in seinem Klassiker „Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es!“

Algorithmen-Crashkurs

Christoph Drösser
Total Berechenbar?
Wenn Algorithmen für uns entscheiden
Hanser 2016, 17,90 €
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/total-berechenbar/978-3-446-44699-1/

978-3-446-44699-1_2151125135937-136Bitte keine Klagen mehr über die Datenkraken, Ausspäher und Digitaldiktaturen im Silicon Valley: Wenn wir uns nicht von Algorithmen beherrschen lassen und nach ihrem Kommando tanzen wollen, müssen wir sie verstehen und selber lernen, wie man programmiert!

Hier kommt das passende Buch dazu. Es tastet sich vom Einfachen zum Schweren vor. So wie viele andere vor ihm, etwa der Direktor des Deutschen Museums, Wolfgang M. Heckl, plädiert auch Drösser dafür: Der Umgang mit Algorithmen gehört in den Schulunterricht. Im Prinzip, kein Problem, erfährt der Leser. Algorithmen sind Anweisungen, so wie Rezepte, idiotensicher und glasklar. So wie man als Schulanfänger die Grundrechenarten lernt, sind Algorithmen und die Programmiersprache erlernbar.

Meritokratisch

Es bringt Spaß, mit dem Autor in die Materie einzusteigen und das System zu verstehen. Das Ganze kommt so leicht daher wie eine musikalische Partitur. Im Verlauf bleibt der Einstieg ins Programmieren nicht mehr ganz kinderleicht, aber er bleibt spannend: Wie Google andere Suchmaschinen mit einem neuen Algorithmus ausbootete, der von zwei Studenten in der legendären Garage entwickelt worden war. Am Ende steht eine gnadenlose Weisheit: Vormacht in der Computerei lässt sich nur mit einem besseren Algorithmus brechen. Das System funktioniert nicht demokratisch, aber „meritokratisch“, nach Einsatz und Verdienst.

Wer da mithalten will, muss sich flugs die Ärmel hochkrempeln. Durch das bessere System, mehr Fleiß, den richtigen Riecher und Risikobereitschaft hat Google mittlerweile zwei Milliarden Zeilen an Computercode angesammelt, mit viel Kontrolle über die Abläufe des Lebens, aber Drössers Schluss bleibt versöhnlich: Wir als Menschen sind so einzigartig, dass wir nicht berechenbar sind – wie lange noch, das sagt er nicht.

Meine Kohlenkellerkindheit

Thomas Melle
Die Welt im Rücken
Rowohlt Berlin 2016, 19,95 €
http://www.rowohlt.de/hardcover/thomas-melle-die-welt-im-ruecken.html

978-3-87134-170-0Der Literat und Theaterregisseur Thomas Melle ist bipolar. Er schwankt zwischen Schüben der Manie und Depression. Was er dabei erlebt, liest sich zum Teil so, als er ob er schwer unter Drogen und LSD stünde, Horrortrips durchzogen von Halluzinationen.

Keiner weiß bis heute, wie diese Störungen im Gehirn zustande kommen. Sie sind, wie Meller spekuliert, vielleicht auch seiner „Kohlenkellerkindheit“ geschuldet. Unser Denk- und Steuerorgan ist uns in der Tat fremder und weniger erforscht als das Universum.

Melle unternimmt mit dem Buch einen couragierten Versuch, die Öffentlichkeit mit den Symptomen der Krankheit vertraut zu machen. Mit diesem Coming Out ist er ein Vorbild für alle, die ihre psychischen Störungen streng geheim halten und damit meist zu einer Verstärkung des Leidens beitragen. Insofern ist das Buch ein wichtiges Plädoyer für mehr öffentliche wie auch persönliche Psychohygiene.

Störungen der Seele, insbesondere Depressionen und Angststörungen, nehmen seit Jahren rapide zu, was wahrscheinlich auch mit der zunehmenden Hetze und Vereinsamung, auch infolge der Durchdigitalisierung unserer Welt zu tun hat. In letzter Konsequenz handelt es sich also auch um eine sozial induzierte psychische Verelendung.

Das Dazu-Stehen, nicht länger verdrängen, sondern sich seinen Problemen auszusetzen, ist der erste Schritt aus der Störung heraus. Das nennen die Fachleute auch Exposition, die sich als eine der verlässlichsten Therapien bei Ängsten erwiesen hat. Bei diesem Thema dürfen wir auch nie vergessen, warum seelischen Leiden gerade in Deutschland noch so tabuisiert sind, obwohl man damit heute, selbst mit Schizophrenie, gut leben kann, ohne sein Leben in einer Anstalt verbringen zu müssen.

Neuronenschwemme

Im Dritten Reich, unter der ideologischen Doktrin der Förderung des lebenswerten Lebens und Auslöschung des mit Defekten versehenen Lebens, wären viele Träger von psychischen Störungen der Euthanasie, sprich Zwangstötung anheim gefallen, woran auch die diesjährige Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Nervenheilkunde DGPPN im November in Berlin erinnerte.

Melles „Die Welt im Rücken“ ist eine Art Roman, aus der ungeschminkten Selbstperspektive des Kranken geschrieben, manchmal so intensiv, dass ein Buchkritiker sagte, er hätte das Buch nur in öffentlichen Räumen lesen können, weil es ihm in Einsamkeit zu unheimlich vorkam. Gerade dieses Bekanntwerden mit einer fremden Welt macht das Buch so ausgesprochen lesenswert und streckenweise so spannend wie ein Krimi.

Das Gehirn erscheint darin als ein blubberndes Chemielabor, in dem die Prozesse sich immer wieder der Kontrolle entziehen wollen, in einem Kopf, der gleichzeitig mal leer, mal übervoll ist, mit einer „Neuronenschwemme“. „Dann kocht der Gehirnstoffwechsel über, und der Mensch rastet aus“, schreibt Melle über seine Schübe. In diesen Phasen seiner Krankheit machte er auch Bekanntschaft mit dem Elend in geschlossenen Abteilungen, in denen „Depressive mit Schizophrenen, Maniker mit Borderlinern, Gedächtnislose mit Suizidenten und Süchtlern zusammengelegt“ werden.

Melle, mittlerweile auf dem Weg der Besserung, erlebt die Welt als „megalomanisches Theater“, in dem die „Tage verglühen“ und später die Paranoia wie ein „kalter, nasser Schaum“ zerfällt, wenn die „Überfeuerung der Neuronen ins Gegenteil“ umschlägt und die seelische „Dunkelheit stofflich“ wird, mit einer Sonne, dieser „hämischen Sau“, unter der insektengleiche Menschen zu ihren „Bienenstöcken“ und „Madennestern“ hasten. So sieht jemand die Welt, der laut O-Ton Melle „zwischen die Fugen der Zeit gefallen“ ist und „in einen feindlichen Abgrund des Unverständnisses“ blickt.

Robo sapiens

Ulrich Eberl
Smarte Maschinen.
Wie künstliche Intelligenz unser Leben verändert.
Hanser 2016, 24.00 €
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/smarte-maschinen/978-3-446-44870-4

978-3-446-44870-4_216421388-62Des Autors Frage ist berechtigt: Könnten Roboter künftige Katastrophen wie das Reaktordesaster von Fukushima verhindern? Selbstfahrenden Autos weisen den Weg, sagt Eberl – der tödliche Unfall des Tesla Autopiloten im Sommer, der LKW für Verkehrsschild hielt, wirft indes bohrende Fragen über die Sicherheit auf.

Ganz egal, ob in 2050 der Verkehr automatisch rollt, die Automatisierung ist nicht zu stoppen, verändert unseren Alltag durchgreifend. Eberl zitiert eine Studie der Universität von Oxford, laut der in 20 Jahren in den USA die Hälfte aller Tätigkeiten in 700 ausgewählten Berufen durch Künstliche Intelligenz und Robotik ersetzt werden. Nicht nur in der Industrie und an Montagebändern, sondern auch im Krankenhaus und Pflegebereich inklusive Medien. Robotern ist der Journalismus nicht mehr fremd.

Zetta-Byte-Universum

Das Mooresche Gesetz über die Vervielfachung der Rechen- und Speicherkapazität hat offensichtlich noch lange nicht seine Grenzen erreicht. Die Performanz hat sich in den letzten 20 Jahren vertausendfacht und wird sich in den kommenden 20 Jahren noch einmal vertausendfachen – bei gleichem Preis. Die Größe von Transistoren ist mittlerweile auf die eines Grippevirus geschrumpft. Ganz neu im Sortiment sind sogenannte „neuromorphe“ Chips, die ähnlich wie Synapsen im Gehirn funktionieren, nur 10.000mal schneller. Und: Das weltweite Datenvolumen wird mittlerweile in Zettabyte gemessen. Das digitale Universum umfasst 8,6 Zettabyte. Diese Zahl besitzt einen Schwanz mit 21 (!) Nullen.

Deshalb fragt Eberl, der lange Zeit Kommunikationschef bei Siemens und Herausgeber einer futuristischen Firmenzeitschrift war: Wohin führt diese Entwicklung, ob sie ein „Angriff auf den Kern unseres Menschseins und den Verstand“ sei, der Homo sapiens vom Robo sapiens verdrängt werde?

Das Buch ist eine gute Mischung aus Fakten und Fiktion. Es werden immer wieder Szenen eingeblendet, in denen der Android Samantha einen Menschen begleitet, eine Handlung, die sich nicht frei von Pannen entrollt. Eberl entwirft bei einem durchweg positiven Ton kein Paradies. Deshalb hätte das Buch vielleicht auch eine dritte Stufe verdient, auf der die Ergebnisse diskutiert werden, möglicherweise kontrovers mit Pro- und Contrastimmen. Was etwa kostet eine Smart City und was bringt sie dem Menschen?

Anders als der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der vor einem technologischen Totalitarismus warnte, ist Eberl kein Whistle-Blower. Sein Fazit ähnelt dem Drössers über die Macht der Algorithmen, abwartend-positiv. Der Zugang zu einem Weltgedächtnis und einem Knowhow-Netzwerk werde unsere Wahrnehmung enorm erweitern, prophezeit der Autor, auch in dem Bemühen, „die Welt lebenswert zu erhalten“. Er glaube nicht, „dass wir uns vor den smarten Maschinen fürchten müssen, weil wir imstande wären, ein Superhirn zu züchten, das die Menschheit beherrschen könnte.“

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