Ein modernes Märchen von Dr. Helmut Weißbach
Es war einmal ein Autoschrauber, der befasste sich ausschließlich mit Porsche-Wagen. Bei einer Diskussionsveranstaltung zur Verkehrspolitik traf er auf seinen Hauptfeind, einen prominenten Umweltschützer. Der warf ihm an den Kopf, wie sinnlos sein Tun sei, weil ein privates Auto 97 Prozent seines Lebens ungenutzt herumstehe.
Das traf ihn im Kern seines Selbstverständnisses. Sollte sein ganzes Leben tatsächlich einer so nutzlosen Sache gewidmet sein? Noch auf dem Heimweg beschloss er, seine Werkstatt auf Verkauf, Wartung und Reparatur von Handys und Fernsehern umzurüsten, wurden doch diese Geräte von nicht wenigen Menschen rund um die Uhr, also zu 100 Prozent ihres Gerätelebens, genutzt.
Zurück im Büro, wusch er sich die Hände. Als er die Seife aus der Hand legte, durchfuhr ihn blitzartig ein seltsamer Gedanke: Wie oft nutzte er die Seife eigentlich? Ziemlich oft am Tag, aber jedes Mal höchstens eine halbe Minute! Zusammengerechnet machte das nicht einmal 1 Prozent ihrer Lebenszeit aus! Konsequent, wie er immer gewesen war, warf er die Seife in den Müll.
Nachts hatte er einen Alptraum: Seine Kochtöpfe, alle elektrischen Küchengeräte, selbst die Nachttischlampe und der Laptop tanzten wild um ihn und skandierten im Chor: „Ätsch, wir alle stehen, liegen, hängen mehr als 95 Prozent unserer Lebenszeit ungenutzt rum!“ Sie mussten also alle weg!
Unausgeschlafen ging er zur Werkstatt, trotz nassen, kalten und stürmischen Wetters in Hemdsärmeln und Sandalen, denn der gefütterte Anorak und die festen Stiefel waren schon im Altkleidercontainer gelandet; wegen des Klimawandels brauchte er sie höchstens noch eine Woche im Jahr. Als er die Werkstatt aufschließen wollte, wurde ihm bewusst, dass er den Schlüssel nur genau zwei halbe Minuten pro Tag zu benutzen pflegte – er flog in die Schrottkiste.
So verwandelte sich unser Autoschrauber über Nacht in einen Jäger nach Dingen, die selten genutzt werden, also entbehrlich sind, und wenn er nicht gestorben ist, so jagt er wohl noch heute.