Mitmischen

Bürgerbeteiligung bei der EU_Kommission: Über eine zentrale Anlaufstelle im Internet kann jeder Bürger zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in der Kommission beitragen. Das Spielfeld der öffentlichen Debatten sollten nicht allen den Lobby- und Industrieverbänden, den NGOs und CSOs überlassen bleiben.

EU / Lukasz Kobus, EC Audiovisual Service
EU-Bürger können sich mit ihrem persönlichen Sachwissen in die Meinungsbildung für politische und gesellschaftliche Initiativen, in Konsultationen zur Ausformung von Gesetzesvorschlägen und auch mit Verbesserungesvorschlägen für bestehende europäische Gesetze einbringen. Die zentrale Internet-Einstiegsseite unter dem Titel Ihre Meinung zur EU-Politik und zum EU-Recht – Mitwirkung am EU-Entscheidungs- und Rechtsetzungsprozess und Verbesserung des EU-Rechts macht die zivilgesellschaftliche Mitwirkung inzwischen besonders einfach.

Die Initiativen sind die Anfangsphase, bei denen es darum geht, neue Ideen für politische Maßnahmen und deren Folgenabschätzungen zu zusammenzutragen.

Sollten sich solche neuen Ideen als sinnvoll erweisen, sammelt die Kommission in der so genannten Konsultationsphase weitere Informationen aus einem möglichst breiten gesellschaftlichen Spektrum, eben auch von einzelnen Bürgern.

Aus diesen Ideen, Vorschlägen und Meinungen erstellt die Kommission schließlich einen Gesetzesvorschlag. Sobald er ausgearbeitet ist und an das europäischen Parlament und den Rat weitergeleitet wurde, gibt es nochmals die Gelegenheit, sich einzumischen.

Vorschläge zur Vereinfachung, zur Effizienz und zum Bürokratieabbau bei bestehenden Rechtsvorschriften können ebenfalls von jedem formlos eingebracht werden.

Interessante Konsultationen für TELI-Experten

Derzeit (Ende September 2019) sind bis in den November hinein beispielsweise drei Konsultationen im Bereich der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft offen.

Im Bereich Energie geht es um eine europäische Partnerschaft für den sicheren und automatisierten Straßentransport.

Volle sieben Konsultationen sind im Bereich Forschung und Innovation offen, darunter zu europäischen Partnerschaften für ein zirkuläres, bio-basiertes Europa (s.a. TELI-Jour-fixe 24. April 2018, Bericht dazu), für sauberen Wasserstoff (s.a. diverse TELI-Beiträge), für saubere Luftfahrt und für Innovationen im Gesundheitswesen.

Auch zum europäischen Eisenbahnsystem und zur urbanen Mobilität gibt es offene Konsultationen.

Reichlich Gelegenheit also, dass sich TELI-Mitglieder mit ihren Expertisen einbringen können. Natürlich könnte sich auch die TELI als Verein im Konzert der übrigen Verbände äußern. Doch dazu braucht der Vorstand natürlich die Initiative, Vorschläge und am Schluss ein Okay von den TELI-Mitgliedern.

Deutschland hinkt hinterher

Bundesregierung und Bundestag setzen bei ihrer Ideen- und Entscheidungsfindung nach wie vor auf ihre Partei- und Koalitionsprogramme, die über vierjährige Wahlperioden meist nicht hinausgehen. Sie leisten sich zwar Expertenausschüsse, schlagen deren Sachverstand aber oft genug in den Wind, wie die derzeitige Klimagesetzgebung zeigt.

Foto: Alfred Yaghobzadeh
Die unterschiedlichen Regierungsressorts veranstalten zwar randomisierte Bürgerforen und Bürgerbefragungen, aber auf Grund der demografischen Altersverteilung sind die über 60-Jährigen natürlich stärker repräsentiert als die unter 30-Jährigen. Dabei muss eine gerechte Politik eigentlich Generationen übergreifende Entscheidungen treffen, also in erster Linie dafür sorgen, dass junge Menschen nicht unter den Fehlentscheidungen der Alten leiden.

Nicht nur die Fridays-for-Future-Bewegung protestiert zu Recht gegen die Untätigkeit der etablierten Art, Politik zu machen. Inzwischen ist sogar eine Mehrheit der Deutschen mit ihren politischen Vertretern und damit auch mit der Demokratie an sich unzufrieden 1.

Wie immer, wenn Politiker etwas nicht so richtig wollen, setzen sie auf Zeit, vertrösten die Wähler mit Ankündigungen und wenn es schließlich nicht anders geht, installieren sie erst einmal eine Expertenkommission. Genau so eine kündigten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD an, um die Bürgerbeteiligung und direktdemokratische Prozesse zu stärken 2. Aber bei der Ankündigung ist es denn auch geblieben. Weder gibt es eine solche Kommission, noch gab es echte Anstrengungen, um die Kluft zwischen Regierenden und Bürgern zu überbrücken (Stand 2020-08-13 (Archivierte Seite auf webarchiv.org)).

Dabei wäre es gerade in Deutschland nötig, dass Parlament und Regierung auf die Interessen, Meinungen und die Expertise von Bürgern setzen und nicht der Industrie und den Unternehmen die Gestaltung der Gesellschaft überlassen. Es gibt zwar viele technologische Ideen und Innovationen, aber von denen sind viele nutzlos, andere lösen Probleme, die die Industrie selbst fabriziert hat, oder sie erfüllen Bedürfnisse, die die Unternehmen erst als solche definiert und beworben haben.

Mitmischen

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus sinnvoll, bei den Gesetzgebungsverfahren der EU-Kommission mitzumischen.

Immerhin steht die Bundesregierung inzwischen in vielen Bereichen unter Dauerbeschuss. Erst im Januar 2019 wurden gegen sie mehrere Vertragsverletzungsverfahren in den Bereichen Energie, Umwelt und Landwirtschaft, Binnenmarkt, Justiz und Steuern eingeleitet. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Regierung nicht einmal das geliefert hat, wozu sie sich verpflichtete. Und das ist genau das, was die Fridays-for-Future-Bewegung im Bereich der Klimagesetzgebung einfordert, nämlich einfach nur, dass die Politiker schlichtweg ihre Versprechen einhalten.


  1. Süddeutsche Zeitung, 2019-09-12: Mehrheit der Bevölkerung sieht die Demokratie in Gefahr. https://www.sueddeutsche.de/politik/staat-mehrheit-der-bevoelkerung-sieht-die-demokratie-in-gefahr-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190912-99-842121  

  2. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Abschnitt XIII. Zusammenhalt und Erneuerung – Demokratie beleben in: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf  

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für die ausführliche und verständliche Darlegung dieser Beteiligungsform sowie den Problemen. „Politik ist das Bohren von dicken Brettern“, sagte Max Weber — und ich bin mir nicht sicher, ob der „Shortcut“ über Partizipation und Bürgerpolitik die Bretter sehr viel dünner macht. Was in kurzer Zeit vieles in Bewegung gebracht hat, ist „Fridays for Future“ — brauchen wir viele „Fridays for Future“, auch eines von Seniorinnen und Senioren sowie den vielzitierten alten weißen Männern?

  2. Wolfgang wroter: „brauchen wir viele “Fridays for Future”, auch eines von Seniorinnen und Senioren sowie den vielzitierten alten weißen Männern?“

    No, never! We need the future in our fights for a liveable earth, not the past!

    Senior citizens (and of course the old white men) have been exactly those who supported a political system that allowed an increase in GHG emissions of 60% since 1990! Although they knew at least since 1972 that mankind has a problem, just that generation did absolutely nothing! They lost the right to participate in future debates, because they made the society immoral and thus democracy irrelevant.

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