Am 28. Juli 2015 hatte der TELI-Regionalkreis Süd erneut zu einem Jour-fixe über Technik und Technik-Folgen in den Internationalen PresseClub München geladen. Trotz des scheinbar exotischen Themas „Elektrotaxi für tropische Mega-Städte“ waren 22 Zuhörer der Einladung gefolgt. Im Verlauf der Veranstaltung zeigte sich das Auditorium durch seine vielen kompetenten Fragen an den Referenten als überaus interessiert am Thema Elektromobilität, sowohl im technischen als auch im wirtschaftlichen Kontext. Denn das Kreuz mit der Elektromobilität sind deren Kosten für Anschaffung und Infrastruktur. Dennoch war sich Professor Lienkamp schon zu Beginn seines Referats sicher, dass die Elektromobilität kommen wird. Denn sie bezahlbar, wenngleich heute nur in Nischen. Eine dieser Nische sei der Zweitwagen, die zweite – Thema des Abends – das E-Taxi.
Die zwei Jahre andauernden Analysen von Verkehr und Rahmenbedingungen in Singapur hätten ergeben:
Privatautos machten 50 Prozent der gefahrenen Kilometer aus. Nur drei Prozent der PKW seien Taxen, die jedoch 15 Prozent der Kilometerleistung erbrächten. Der Stadtstaat Singapur strebe nun danach, möglichst viel Verkehr in den öffentlichen Nachverkehr zu verlagern, um Verkehrsfluss und Luftqualität verbessern zu können. Doch wohin? Im Vergleich zu Singapur sei das öffentliche Münchner Verkehrsnetz „ein Traum“. In Singapur werde kaum Bus sondern eher Taxi gefahren, auch deshalb, weil wegen der Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte Taxifahren nur ein Drittel dessen koste, was in München verlangt werde. Auf Privat-PKW zu setzen, sei „völliger Quatsch“. Trotz vergleichbaren Lebensstandards seien deren Kosten exorbitant: Ein Auto koste wenigstens 50.000 Singapur-Dollar, schon das Nummernschild schlage mit 30.000 SGD zu Buche, das summiere sich für einen 3er BMW bereits auf 100.000 Euro (Wechselkurs Euro/SGD ca. 1/1,5) – der Lebensstandard sei zu dem in Deutschland vergleichbar. Und weil Car-Sharing noch immer kein Thema sei, sei 2011 die Entscheidung für die Entwicklung eines elektrifizierten Taxis gefallen. Denn es würden mehr Taxen gebraucht, als vorhanden.
Bei acht Jahren Laufzeit günstiger als mit Verbrennungsmotoren
Laut Professor Lienkamp fährt ein Taxi in Singapur rund 520 Kilometer am Tag, rund um die Uhr, in zwei Schichten, also 260 Kilometer pro Schicht. Das erfordere im Fall eines E-Taxis, auch wegen der erforderlichen Klimatisierung, die Zwischenladung des Akkus. Da auch in Singapur Taxifahrer Pausen brauchten, könne in jeweils eine Viertelstunde lang nachgeladen werden, bei Schichtwechsel wegen der dann fälligen Reinigung eine ganze Stunde. Damit der EVA-Akku (450-Volt-Basis, in Phase-Change-Technik) mit 50 kWh gefüllt werden könne, arbeite man mit zwei parallel betriebenen Schnellladesäulen. Mit dieser Auslegung könne ein e-Taxi in Singapur heute schon rund um die Uhr betrieben werden, erst recht, wenn man beachte, dass die Batteriezellenentwicklung jede Jahr sieben Prozent mehr Kapazität bringe.
Das Ganze sei für Taxler heute schon wirtschaftlich. Zwar lohne der Kauf nicht, wohl aber der Betrieb: „Wir gewinnen über die Betriebskosten, weil Strom billiger ist als Benzin oder Diesel und wir sparen bei der Wartung. Bei einer Laufzeit von acht Jahren sind wir sogar günstiger als Verbrennungsmotoren.“ Singapur könne mit einem Pinselstrich beschließen, e-Taxen einzuführen und die noch fehlende Ladeinfrastruktur aufzubauen. Eine Schnellladesäule koste rund 40.000 Euro, eine Batteriewechselstation á la Betterplace zwei Millionen. „Deshalb sind die auch pleite“, erläutert Professor Lienkamp.
Wie modernes Taxi aussehen sollte
Intensive Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen und Nutzeranalyse führten zu einer neuen Gestaltung. „Wir haben EVA von Scratch auf neu entwickelt, wenngleich mit vorhandenen Komponenten, die passten“, führte Professor Lienkamp aus. „Zum Ergebnis zählten beispielsweise ein klapp- und ausbaubarer Kindersitz, ein Infotainment-System für Passagier-Smarphones, Fahrpreisinformation, einem bargeldlosen Bezahlsystem via Smartphone“. Barbezahlen ginge aber immer noch. „Wir werden noch lange nicht auf Bargeld verzichten können“, beteuerte Lienkamp. Selbst wenn Trinkgeld in Singapur verboten sei. Auch über Shared Taxi-Fahren habe sich sein Entwicklerteam Gedanken gemacht mit dem Ergebnis, dass sich 40 Prozent des Taxiverkehrs einsparen ließen, wenn man zwei Leute ins Auto bekäme, die in etwa in die gleiche Richtung fahren. Sogar eine eigne App sei dafür dafür eigene App entwickelt worden. Die Gestaltung des Interieurs hätten ergonomische Gesichtspunkte geleitet, etwa eine hohe Sitzposition, schon wegen im unten im Boden platzierten Batterie, vor allem aber um das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Steile Scheiben helfen – wichtig für die Fahrer – Sonneneinstrahlung zu reduzieren und damit Kühlung und Klimatisierung zu entlasten. Das System klimatisiere aus dem Dach heraus, weil das der Fahrgast als angenehmer empfinde als von unten. Und schließlich seien die Sitze mit Netzgewebe und Ventilatoren ausgestattet, weil so die Feuchtigkeit vom Körper wegziehe. Beim Aufbau der Karosserie sei wegen Gewicht und Preis eine CFK-Strukturgewählt worden.
Nach diesen Vorgaben habe man EVA entwickelt, berechnet, aufgebaut und 2014 auf der Tokyo Motorshow gezeigt und auf dem Campus der gefahren. Gebaut hat EVA die TUM, zusammen mit Zulieferern. „Das Fahrzeug ist fertig, es fährt, und es hat viele Leute konzeptionell beeindruckt“, schloss Professor Lienkamp seinen Vortrag.
Autor: Arno Kral
In der anschließenden Frage- und Antwort-Runde erwies sich das Auditorium als überaus wissbegierig und glänzte fast immer mit überaus vernünftigen Fragen:
Klein anfangen lohnt nicht
Warum ist EVA so klein? Passt da noch Gepäck hinein?
Weil in über 95 Prozent der Fälle nur eine Person darin sitze, maximal aber drei, und der Kofferaum groß genug sei.
Warum EVA noch nicht eingeführt worden sei?
Weil eine Singapur alleine nicht reiche, um eine Serienfertigung zu rechtfertigen. In Singapur gebe es bereits 30.000 Taxen, und die 3.000 neuen jedes Jahr gäben noch kein tragfähiges Geschäftsmodell ab. „Klein anfangen lohnt nicht“, so Lienkamp. Singapur sei gut beraten, einen Zusatzmarkt zu finden und mit wenigstens weiteren zehn Mega-Cities ins Geschäft zu kommen.
Warum Singapur nicht vorhandene Elektroautos als Taxen einsetze?
Weil wegen der Reichweite nur das Modell Tesla S in Frage käme.
Wieviel kostet EVA bei einer Stückzahl von 50.000?
80.000 Singapur-Dollar.
Warum sind statt Akkus nicht Brennstoffzellen in die Planung eingeflossen?
Weil die zu schwer und zu teuer seien.
Warum wurde kein Verbrennungsmotor als Range-Extender eingebaut?
Weil reines Laden ausreiche und man in Singapur nur wenige Hundert Ladesäulen benötige.
Gibt es für andere tropische Megastädte eine andere Strategie?
Nein, weil es konzeptuell keinen Unterschied gibt.
Soll der Staat bei der Bereitstellung der Schnelllade-Infrastruktur in Vorleistung gehen?
Ja, weil das privatwirtschaftlich kaum jemand machen werde. München brauchte etwa 200 bis 300 Stück.
Warum bezieht die Ölindustrie dieses Geschäft nicht an sich?
Weil der Privatkunde nicht bereit sein werde, an einer Schnellladesäule mehr zu bezahlen als zuhause. Statt dessen böten sich Taxihöfe mit eigener Stromerzeugung an. Andernfalls müsse der Staat investieren, so geschehen bei der A9, an der zwischen München und Berlin inzwischen alle 70 Kilometer eine Schnelladesäule stehe.
Wie steht es um die Kompatibilität der Ladesäulen bestellt?
Da hat sich zumindest in Europa der Mennekes Typ2 durchgesetzt, der 50 kW Leistung bringt. Das sei ausreichend. Gegebenenfalls müssten, wie bei EVA, zwei eingesetzt werden.
Wird der in Folge der Befriedung zwischen USA und Iran zu erwartende Öl- und Benzinpreis-Verfall bremsende Wirkung für die Elektromobilität habe?
Aus persönlicher Sicht des Referenten werde sich das eher positiv auswirken. Fallende Spritpreisen veranlassten die Käufer dazu, größere Autos zu kaufen. Um deren hohen CO2-Ausstoß zu kompensieren, seien die Automobilhersteller gezwungen, mehr e-Autos nicht zur anzubieten, sondern auch zu verkaufen.
Welches Land ist ein geeigneter Kandidat für den Beginn mit e-Taxen?
Das werde eine Mischung sein, denn: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Und die Idee ist in Asien eingeschlagen. Wenn nun mehrere Städte in diese Richtung gehen, keine anderen Autos zuzulassen, werden wir Invstoren überzeugen können.“
Ist die Wertschöpfung bei selbstfahrenden Taxen größer?
Nein, weil bei Taxen die Betriebskosten im Vordergrund stehen, nicht die Produktionskosten. „Bei Selbstfahrern sind wir sehr in der Diskussion! Die Chinesen haben irren Druck, Emissionen runter zu kriegen. Sobald das möglich erscheint, werden sie die Innenstädte für Verbrennungsmotoren dicht machen, wie es schon bei Mopeds der Fall gewesen ist“.
Gibt es Modellrechnungen, wie Elektrofahrzeuge zur CO2-Reduktion beitragen könnten?
Ja, wobei es darauf ankomme, wie der Strom erzeugt werde. Komme der aus Kohle, sei das Ergebnis zwar pari. Die Elektromobilität trage aber dann immer noch zur Reduktion von Feinstaub und NOx bei.
Ist EVA legal Entity oder nur ein TUM-Projekt?
„TUM Create“ ist eine Sub-Firma der TUM, das sei nötig für Haftung, bleibe aber eine reine Forschungseinrichtung.
Hat die Brennstoffzelle nicht doch noch eine Zukunft?
Nein, weil Akkus pro Jahr sieben, die Brennstoffzelle aber nur ein Prozent besser werde.
Ist Power-to-Gas eine Alternative?
Nein, weil Stromspeicher bereits für weniger als 250 Euro pro Kilowattstunde zu haben seien.
Könnten die Energieversorger die Batterien stehender Elektroautos als Stromspeicher nutzen?
Nein, weil niemand seine Batterie durch häufe Be- und Entladezyklen ruinieren wolle. Derzeit gehe die Entwicklung eher in Richtung Leistungs-Puffer denn in Richtung Energie ins Netz zurück speisen.
Sehr sehenswert und zum Nachdenken anregend ist die ZDF-Dokumentation „Der wahre Preis der Elektroautos“.
https://www.youtube.com/watch?v=HbawmdoaDSQ&frags=pl%2Cwn