Wissenschaft im Nationalsozialismus: Kompromisse mit Hitler

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War Deutschland fähig, eine Atombombe zu bauen? Was lässt sich aus dem Verhalten der damals handelnden Physiker lernen? Wie sollen sich Wissenschaftler in autoritären Systemen idealerweise verhalten? Professor Mark Walker lieferte auf diese Fragen fundierte Antworten.

Hitlers Atombombe – eine Legende
Professor Mark Walker im TELI Jour Fixe liefert fundierte Antworten auf Fragen zu Hiltlers Atomprogramm und versucht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Foto: Peter Knoll

Manche Legenden um die Uranforschung im NS-Staat wirken bis heute nach. Professor Mark Walker analysiert sowohl die Geschichte um Hitlers Atombombe als auch deren Aufarbeitung in der Nachkriegszeit. Auf Einladung der TELI lieferte Walker in seinem Impulsvortrag und der anschließenden Diskussion fundierte Hintergrund-Informationen. Er verwies unter anderem die Behauptung, Deutschland wäre im Krieg in der Lage gewesen, eine Atombombe zu bauen, ins Reich der Legenden: „Deutschland hatte dafür gar nicht die Ressourcen – völlig unmöglich“, betonte der Professor. Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen wie in den USA versuchte Mark Walker ferner die Frage zu beantworten, was sich aus der Lage der Wissenschaft im Nationalsozialismus für andere autoritäre Systeme lernen lasse.

Vor dem Münchner Presseclub wimmelt es auf dem Weihnachtsmarkt. Jede und jeder, der an diesem gut besuchten Vortrag von Professor Mark Walker teilnahm, musste sich erst durch das adventliche Gedränge bewegen. Die Atmosphäre hätte kaum gegensätzlicher sein können: Das vorweihnachtliche Wuseln draußen kontrastierte mit den Einblicken in jene Zeit vor über 80 Jahren, als im Deutschen Reich an der Kernphysik geforscht wurde, die dann anderenorts zur bis heute wirkmächtigsten Waffe, der Atombombe, führte.

Arno Kral, Vorsitzender der TELI, begrüßte das gut gefüllte Auditorium sowie den renommierten Kenner der damaligen Situation, Professor Mark Walker aus den USA. Der Wissenschaftshistoriker hat die Entwicklung der Atombombe in Deutschland erforscht und diesem Thema seine Dissertation gewidmet.

Im Mittelpunkt seines historischen Exkurses standen zwei Namen: Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker. An ihnen wurde deutlich, unter welch schwierigen, auch persönlich belastenden Bedingungen, die Forschenden im Nationalsozialismus arbeiteten. Im Raum schwebte die unausgesprochene Frage: Waren Heisenberg und von Weizsäcker Nationalsozialisten? Und was mussten Menschen tun, um ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit unter Hitler weiterhin nachgehen zu können?

Hitlers Atomprogramm und wie Forschende in autoritären Systemen unter Druck stehen waren Thema von Professor Walkers Vortrag im Presseclub.
Differenzierte Auseinandersetzung: Professor Walker legt dar, unter welch schwierigen, auch persönlich belastenden Bedingungen, die Forschenden im Nationalsozialismus arbeiteten. Foto: Peter Knoll

Ringen um die Kriegskasse

Mark Walker brachte die Atmosphäre der damaligen Zeit sehr plastisch in den Raum. Sein erzählerischer Stil, gestützt durch zahlreiche Originalaussagen der damaligen Akteure aus Politik, Macht, Wirtschaft und Wissenschaft, ließ die Sprache jener Jahre und die konkreten Herausforderungen – etwa beim Ringen um Finanzmittel oder im zwischenmenschlichen Klima – nachvollziehbar werden. Besonders vor dem Hintergrund des Antisemitismus in der deutschen Wissenschaft machte Walker deutlich, dass es keine Nachweise dafür gäbe, dass Heisenberg oder von Weizsäcker sich der nationalsozialistischen Ideologie persönlich angeschlossen hätten. Ihr zentrales Interesse galt der eigenen Forschung. Diese zielte in erster Linie auf die Entwicklung eines Kernreaktors ab, nicht auf den Bau einer Atombombe, obwohl die unterschiedlichen Arten der Kettenreaktion – kontrollierbar und explosiv – bereits 1942 bekannt waren. Vor allem Heisenberg war äußerst ehrgeizig, was seine wissenschaftlichen Ziele betraf.

Heisenberg und von Weizsäcker standen nicht unmittelbar mit Hitler in Kontakt. Ihre Ansprechpartner waren Albert Speer und Heinrich Himmler, wodurch sie sich in einer weniger exponierten, aber ideologisch keineswegs unproblematischen Position befanden.

Arno Kral, Vorsitzender der TELI, moderiert die Veranstaltung zur Verantwortung der Forschung in der Diktatur. Foto: Peter Knoll

Persönliche Verantwortung

In der anschließenden Diskussion stellte Walker seine profunden Kenntnisse der damaligen Vorgänge unter Beweis und konnte sämtliche sachbezogenen Fragen ausführlich beantworten. Die Zuhörenden erhielten eine Fülle geistreicher und informativer Einblicke in die Zeit der NS-Diktatur, und der Blick auf die Gegenwart – insbesondere auf Entwicklungen in den USA unter der Trump-Administration – stellte die persönliche Verantwortung Aller in den Mittelpunkt. So lautete eine der Fragen an Walker: „Wie hätten Sie sich entschieden, wenn Sie als Wissenschaftler unter Hitler tätig gewesen wären?“ Man merkte ihm an, wie ernsthaft er sich innerlich mit dieser Frage auseinandersetzte. In seiner abwägenden Antwort tendiert er zu der Haltung, dass er in einem solchen System nicht hätte arbeiten wollen. Ausdrücklich in Schutz nahm Walker die meisten Wissenschaftler vor dem Vorwurf, sie hätten ja einfach auswandern können, ums nicht für die Nazis zu arbeiten: „Es gab schon sehr viele Wissenschaftler, die aus Deutschland geflohen waren und [im Exil] keine Anstellung hatten. So leicht war es nicht!“ Spitzenkräfte wie Heisenberg, die attraktive Angebote führender Universitäten hatten, seien die Ausnahme gewesen, nicht die Regel.

Lernen aus der Geschichte möglich

Gegen Ende wurde Walker mit zwei zugespitzten Zitaten konfrontiert: Ein Kollege aus der Antike – Leviticus – habe bereits vor über 2300 Jahren darauf hingewiesen, dass Geschichte von den Siegern geschrieben werde. Gandhi wiederum wird der Satz zugeschrieben, man lerne aus der Geschichte, dass man aus der Geschichte nichts lerne. Zusammengedacht ergibt sich daraus der Auftrag, die Geschichte der Verlierer genauer zu studieren, um überhaupt Lernchancen zu erkennen. Walker betonte in seiner Antwort, dass die heutige Geschichtsschreibung bereits deutlich umfassender und differenzierter auf die Vergangenheit blicke. Er verband dies mit dem Wunsch, dass wir aus der Geschichte tatsächlich lernen.

Der Abend erwies sich für die Zuhörenden als eindrückliche Lehrstunde deutscher und internationaler Geschichte. Sichtbar wurden gleichermaßen historische Parallelen, die sich immer wieder zeigen können, als auch die Zumutungen und Entscheidungssituationen, denen Menschen in extremen politischen Systemen ausgesetzt sind. Eine klare, reflektierte Haltung zur Politik erscheint notwendig, um nicht in Strukturen hineingezogen zu werden, die man eigentlich ablehnt. Das galt damals und es gilt in jeder Zeit.

Helmut Scheel

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